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Ölpest: Braune Delikatesse auf hoher See

Bakterien können Erdöl im Meer zersetzen – in begrenztem Maß. Wie stark das maritime Ökosystem durch die Havarie der Ölbohrinsel „Deepwater Horizon“ gestört wird, kann niemand vorhersagen.

Craig Venter hat das Ölpestproblem längst gelöst – jedenfalls theoretisch. Schon vor Jahren kündigte der Biochemiker an, toter Materie Leben einzuhauchen. Aus im Labor synthetisierten Molekülen sollten künstliche Bakterien entstehen. Diesen könnte man dann nahezu beliebige biochemische Fähigkeiten einprogrammieren, von der Fixierung klimaschädlichen Kohlendioxids über die Produktion von Biodiesel bis zur Zersetzung von Ölfilmen im Meer.

Vor zwei Wochen hat Venter, wie üblich mit großem medialem Auftritt, seine „Schöpfung“ präsentiert: Ein simples Bakterium, dessen Erbinformation (DNS) im Labor synthetisiert wurde. Die Bakterienzelle selbst konnte Venter nicht künstlich herstellen, sie stammt von einem natürlichen Bakterium. Auch die Gene der DNS hat Venter nicht entworfen, sondern nur von einem existierenden Organismus kopiert. Das ist etwa so, als hätte man das Uralt-Betriebssystem MS-DOS kopiert, alle nicht essenziellen Funktionen gelöscht und eine neue CD gebrannt. Wenn man diese CD in einen modernen Computer steckt, bekommt man einen rudimentären Systemstart hin. Kein Wissenschaftler – vielleicht mit Ausnahme einiger Schöpfungsdogmatiker im Vatikan – hat bezweifelt, dass das funktioniert. Trotzdem beansprucht Venter, einen Meilenstein der Biotechnologie gesetzt zu haben. Schließlich steht nirgendwo geschrieben, dass Biochemiker bescheiden sein müssen.

Zum Glück ist das Meer auch ohne Venters Visionen in der Lage, sich gegen die Ölpest im Golf von Mexiko zu wehren. Erdöl sickert an vielen Stellen des Meeresgrundes nach oben. Etwa vor der Küste Kaliforniens, wo alleine am „Coal Oil Point“ seit einigen hunderttausend Jahren täglich etwa 20 Tonnen Öl aus dem Boden sprudeln. Für Meeresbakterien der Gattung Alkanivorax ist die braune Brühe eine Delikatesse, sie haben sich in der Region massiv vermehrt. Ein kleiner Rest, den die Bakterien nicht verputzen können, sinkt als Teer auf den Meeresboden und wird über Jahrzehnte langsam abgebaut – offenbar ohne größeren Schaden für die Fauna.

Auch im Golf von Mexiko wurde bereits eine massive Zunahme der Alkanivorax-Bakterien registriert. Allerdings könnten die Detergenzien, die BP zur Verringerung des sichtbaren Ölfilms ins Bohrloch pumpt, die Arbeit der Mikroben gefährlich behindern. Alkanivorax benötigen nämlich Sauerstoff, um die Kohlenwasserstoffe im Öl zu zersetzen. Deshalb arbeiten sie an der Wasseroberfläche am besten. Detergenzien verteilen jedoch das Öl im Wasser, sodass es als Wolke feiner Tröpfchen in größerer Tiefe schwebt. Auch die Zugabe von Mineralstoffen (Nitrate und Phosphate), mit denen das Bakterienwachstum in Ölfilmen beschleunigt werden kann, ist in größerer Tiefe nicht möglich. Zudem steht zu befürchten, dass die aggressiven Chemikalien die Vermehrung der nützlichen Bakterien behindern.

Wie stark das maritime Ökosystem durch die Havarie der Ölbohrinsel „Deepwater Horizon“ gestört wird, kann deshalb niemand vorhersagen. Auch ist unklar, wie lange der Abbau einer derartig großen Menge Erdöl (nach aktuellen Schätzungen bis 5000 Tonnen täglich) dauert und welche indirekten Auswirkungen die Vermehrung der ölfressenden Bakterien hat. Möglicherweise verdrängen sie das pflanzliche Plankton, das normalerweise die Nahrung für Kleinkrebse und damit die Basis der Nahrungskette bildet. Von den Bakterien können sich stattdessen tierische Einzeller ernähren, die als Ersatznahrung für die Kleinkrebse infrage kommen. Die damit verbundene Veränderung der maritimen Nahrungsketten könnte erhebliche Auswirkungen für die Fischerei und die Bestände an Robben und anderen Raubtieren haben. Möglicherweise sind am Ende weitere Tierarten vom Aussterben bedroht.

Doch Hoffnung bleibt, denn auch für dieses Problem hat der visionäre Venter bereits eine Lösung: Mit seiner genetischen Schöpfungsmethode kann er auch ausgestorbene Tierarten wieder zum Leben erwecken – jedenfalls theoretisch.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

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