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Auch die British Virgin Islands (hier ein Satellitenbild) gelten als Steuerparadies.

© dpa

Offshore-Leaks: Steuervermeidung ist kein Kavaliersdelikt

Die Enthüllungen zu den Steueroasen fachen die deutsche Diskussion über Gerechtigkeit neu an. Während manche ihr Geld versteckten, nahm die Ungleichheit bei den Löhnen zu. Wo ist der Gemeinsinn geblieben, der mit dem rheinischen Kapitalismus der alten Bundesrepublik ziemlich viel gemein hatte?

Oasen an den großen Handelswegen durch Asien und Afrika waren früher die Orte, an denen Menschen und Tiere Kraft für die weitere Reise schöpfen konnten. Steueroasen erfüllen den gegenteiligen Zweck. Sie werden gebraucht, um Einkünfte den Steuergesetzen eines Landes zu entziehen. Wer sie nutzt, stärkt also nur sich selber. Der Gesellschaft, mit und in der er durch das Leben reist, nimmt er damit im übertragenen Sinne etwas von dem Wasser, das die Gemeinschaft leistungsfähig hält.

Es gab Zeiten, in denen das Vermeiden von Steuerzahlungen als Kavaliersdelikt galt. Es wurde wie selbstverständlich und augenzwinkernd von den Vermögenden in Anspruch genommen. Diese Zeiten sind – noch nicht sehr lange – vorbei. Auch deshalb sind in dieser Woche Berichte über europäische und weiter entfernte Steueroasen und ihre prominenten Nutzer stirnrunzelnd verfolgt worden.

Es gibt heute einen ziemlich weitverbreiteten Konsens, dass man im Interesse des Zusammenhalts der Gemeinschaft und ihrer Funktionsfähigkeit seine Steuern zahlen sollte. Wer mehr verdient, zahlt mehr, wer weniger verdient, zahlt weniger. Zum Konsens gehört auch, dass der Staat dabei nicht konfiskatorisch zugreifen darf. Das tut er in Deutschland nicht. In der rot-grünen Ära wurden die Spitzensteuersätze deutlich gesenkt. Nur im strukturkonservativen und neoliberalen politischen Spektrum des Landes wird noch propagiert, die deutschen Steuerquoten seien unanständig hoch und rechtfertigten, so wird angedeutet, wenn auch nicht klar ausgesprochen, den Weg in die Steueroasen. Für Normalbürger, deren Steuern vom Arbeitgeber einbehalten oder mit der Einkommensteuererklärung durch das Finanzamt eingetrieben werden, ist das kein Thema. Sie könnten diese Oasen, selbst wenn sie wollten, nicht nutzen.

Aber dass sie weiter blühen und gedeihen, facht die deutsche Diskussion über die Gerechtigkeit unserer Gesellschaft neu an. Im Deutschlandtrend von Infratest dimap sagen in der abgelaufenen Woche 53 Prozent der Befragten, es gehe bei uns eher nicht gerecht zu. Die Allensbacher Demoskopen haben erhoben, dass sogar 69 Prozent der repräsentativ Interviewten die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland nicht gerecht finden. Unstrittig ist, dass die Ungleichheit der Löhne seit etwa 1995 zunahm. Gesellschaftlicher Aufstieg fällt heute schwerer, Abstieg ist hingegen sehr schnell möglich. Nur in Spanien, Griechenland und Osteuropa war diese Spreizung noch stärker. Gerechter im Sinne von näher beieinanderliegend war sie in Skandinavien, Österreich und den Niederlanden – einige Länder also, deren Gesellschaftsmodelle wir als beispielhaft empfinden.

Das zeigt uns, dass es einer Gesellschaft dann besonders gut geht, wenn sie einen Werte- und Tugendkatalog unabhängig von der Religion verinnerlicht hat. Es ist ein Bündel von Verhaltensregeln, die dem Kant’schen Imperativ sehr nahe sind. Das ist, weit gefasst, die Aufforderung an jeden Einzelnen, sich seinen Mitmenschen gegenüber nur so zu verhalten, wie man von ihnen selbst auch behandelt werden will. Der so gerne ironisierte rheinische Kapitalismus der alten Bundesrepublik mit seiner sozialen Marktwirtschaft hatte ziemlich viel von diesem Gemeinsinn, den man auch gerne durch den angelsächsischen Begriff des Common Sense erweitern darf. Wer will, darf das dann sogar konservativ nennen.

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