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Meinung: Oh, wie schön war Jamaika!

Eine Koalition ist diesmal wohl vom Tisch, aber Schwarz-Grün wird salonfähig

Höflich sind sie zueinander, die Schwarzen und die Grünen. Dass Claudia Roth ein Gespräch mit Edmund Stoiber angenehm nennt – wer hätte das gedacht, als sie vor 20 Jahren die Protestband „Ton Steine Scherben“ managte und der Strauß-Vertraute das „blonde Fallbeil“ gab. Für dieses Mal haben Union und Grüne eine Zusammenarbeit verworfen und die Jamaika-Variante vorerst abgeräumt. Gegensätze stellen sie heraus, nicht Gemeinsamkeiten.

Dennoch war es ein, ja, historisches Treffen. Erstmals stand Schwarz-Grün auf Bundesebene offiziell zur Debatte, und nun kann diese Konstellation irgendwann einmal regieren. Stoiber stellt mögliche Vorläufer von Schwarz-Grün „in dem einen oder anderen Land“ in Aussicht, Angela Merkel hält die Tür „ausdrücklich offen“. Selbst Joschka Fischer empfiehlt seiner Partei zum Abschied eine vorsichtige Öffnung zum bürgerlichen Lager. Der Weg ist vorgezeichnet. Auch Rot-Grün hat nicht oben, sondern unten und ganz mühsam angefangen, zum Beispiel in Hessen mit Fischer. Schwarz-Grün regiert heute schon in einigen Kommunen, der nächste Schritt wird die Regierungsbeteiligung in einem Bundesland sein. Baden-Württemberg vielleicht. Wer weiß? Sondierungen hatte es dort schon gegeben.

Personell, kulturell, programmatisch passe man nicht zusammen, heißt es. Doch die Personen werden sich finden, und die Kulturen sind vielleicht am Ende doch nicht so verschieden. Es waren vor allem die Bürgersöhne und -töchter, die sich einst den Grünen zuwandten, und heute sind sie nicht weniger bürgerlich und etabliert als viele in CDU und FDP. Die Milieus sind durcheinander geraten. Ein Punk kann FDP wählen, ein Oberstudienrat grün. Die Ökologie ist längst in der Mitte angekommen.

Und die Volksparteien haben an Bindungskraft verloren. Große Koalitionen werden so wahrscheinlicher, aber auf mittlere Sicht eben auch bisher wenig vertraute Modelle. Das Wahlvolk ist weiter als die Politik. Mehrere Umfragen sehen Schwarz-Gelb–Grün als die zweitliebste Regierungsvariante der Deutschen, in einer Umfrage liegt sie sogar deutlich vorn.

Wenn sich die Personen finden, werden sich Kulturen und Programme annähern. Grüne und FDP haben in der Rechts- und Innenpolitik viel gemein, Grüne und CDU manches in Umweltfragen, und Grüne und CSU hätten gegen den neoliberalen Geist der Merkel-CDU als Korrektiv gewirkt. Eine Haushaltspolitik aus einem Guss wäre möglich gewesen, in der Außenpolitik hätte man die Tradition von Genscher und Fischer beschworen. Der Ausstieg aus dem Atomausstieg, den die Atomlobby gar nicht fordert, und die Kopfpauschale, die viele Gesundheitsexperten skeptisch sehen, hätten vertagt werden können. Und es wäre ein Neuanfang gewesen: Deutschland, regiert von einer Frau, in einer Koalition jenseits des Lagerdenkens.

Damit hätten die Grünen ihre Basis verschreckt. Von einer Zerreißprobe wäre die Rede gewesen. Aber wahr ist auch: Davon hatten die Grünen schon viele; sie haben manche Häutung hinter sich. Hinter den Höflichkeiten schimmert eine veritable Perspektive auf.

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