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Meinung: Ohne Friedenspfeife

Von Ulrike Scheffer In Afghanistan läuft alles nach Plan. Ein halbes Jahr nach der von den Vereinten Nationen organisierten Friedenskonferenz auf dem Petersberg in Königswinter kommen nun Vertreter aller Stämme zusammen, um eine neue, repräsentative Regierung zu wählen.

Von Ulrike Scheffer

In Afghanistan läuft alles nach Plan. Ein halbes Jahr nach der von den Vereinten Nationen organisierten Friedenskonferenz auf dem Petersberg in Königswinter kommen nun Vertreter aller Stämme zusammen, um eine neue, repräsentative Regierung zu wählen. Auch hinter dieser Versammlung, der Loya Dschirga, steht die internationale Gemeinschaft. Sie will den Demokratisierungsprozess bis zu den für 2004 vorgesehen allgemeinen Wahlen begleiten. Ganz ähnlich schaffte der Westteil Deutschlands nach dem Zusammenbruch 1945 den Anschluss an die demokratische Welt – mit Hilfe beziehungsweise unter Aufsicht der Siegermächte.

Doch der Vergleich hinkt. Afghanistan ist nicht, wie Deutschland damals, besetzt, steht nicht völlig unter ausländischer Kontrolle. Letztlich liegt die Verantwortung für den Wiederaufbau allein bei den Afghanen. Die in Kabul stationierte Schutztruppe soll lediglich sicherstellen, dass die neue Führung des Landes diese Verantwortung auch wahrnehmen kann.

Der Fahrplan für die Demokratisierung jedoch wird ohne eine landesweite Präsenz ausländischer Soldaten in den kommenden Monaten und Jahren nur schwer einzuhalten sein. Das wissen auch die Regierungen in Berlin, London oder Washington. Sie haben sich aus nachvollziehbaren Gründen gegen eine Ausweitung des Mandats der Schutztruppe entschieden. Die Kosten und die Belastung für ihre Armeen wären immens und der heimischen Bevölkerung deshalb nicht vermittelbar. Das ist Demokratie.

Als Konsequenz bewegt sich der Friedensprozess auf einem schmalen Grat. Schon jetzt haben sich einige Provinzfürsten von Kabul losgesagt, andere Landesteile sind wieder fest im Griff internationaler Drogenkartelle. Und rivalisierende Clans tragen ihre Auseinandersetzungen in dem vor Waffen starrenden Land nach wie vor mit Gewalt aus. Die Versammlung der Stämme wird daran kaum etwas ändern, denn sie ist kein Happening, bei dem die große Friedenspfeife die Runde macht.

Auch wenn sich offiziell alle Gruppen zum Frieden bekennen, wird es hinter den Kulissen vor allem darum gehen, möglichst viel Einfluss im neuen Afghanistan zu erhalten – und die Macht der Rivalen zu beschneiden. Deshalb wurde um die Sitze in der Nationalversammlung hart gerungen und manch umstrittener Kandidat brutal aus dem Weg geräumt.

Die Wahl wäre eine gute Gelegenheit gewesen, zu zeigen, dass die internationale Truppe zum Schutz aller Afghanen im Land ist und nicht nur, um die Übergangsverwaltung zu unterstützen, in der viele Menschen ein Instrument der Nordallianz sehen. Kleine Überwachungstrupps in den großen Städten hätten nach Ansicht von Beobachtern ausgereicht, um Gewalt zu verhindern. Wenigstens dazu hätten sich die beteiligten Staaten durchringen sollen.

Trotz all dieser Schwierigkeiten muss der Friedensprozess aber nicht zwangsläufig scheitern. Ein Land, das mehr als 23 Jahre Bürgerkrieg hinter sich hat, wird nicht von heute auf morgen zum demokratischen Musterländle, schon gar nicht ein so archaisches wie Afghanistan. Nicht alle Kompromisse, die da geschlossen werden, entsprechen westlichen Standards. Wichtig ist zunächst, dass überhaupt Kompromisse geschlossen werden und möglichst viele Gruppen den eingeschlagenen Weg weiter mitgehen. Immerhin gab es seit der Vertreibung der Taliban keine größeren Kriegshandlungen.

Für viele Afghanen hat sich das Leben zudem eindeutig verbessert. Zum Beispiel für die Frauen. Zwar tragen die meisten von ihnen selbst in Kabul noch immer die Burka, da sie sich weiter vor Übergriffen konservativer Männer fürchten. Doch Mädchen und Frauen dürfen wieder etwas lernen und auch arbeiten. Damit werden ihnen endlich elementare Menschenrechte zugestanden. Insgesamt 160 Frauen sitzen nun auch in der Loya Dschirga. Gewählt wurden allerdings die wenigsten von ihnen. Die meisten hat die Wahlkommission ernannt. Ob die männlichen Abgeordneten den Frauen zuhören werden, darf jedoch werden; die Ministerinnen der Übergangsverwaltung hatten ebenfalls einen schweren Stand. Die Gleichberechtigung bleibt in Afghanistan wie vieles anders vorerst ein Kompromiss.

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