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Meinung: Ohne Sex wird aus Fischer nie etwas

Von Roger Boyes, The Times

Vor einigen Jahren, als das Leben noch verspielter war, wollten ein Freund und ich ein Musical über Joschka Fischer schreiben. Er war der geborene Bühnenheld: der vertriebene Metzgersohn, der Taxifahrer, der Studentenrevolutionär, die Frauen, die Farbe im Ohr, Madeleine Albright, der fette Mann, der dürre Mann und dann sein Fall, das tragischkomische Ende in einer toskanischen Villa. Na ja, zum Ende sind wir nie so richtig gekommen. Unsere Leben schlugen ernsthafte Richtungen ein und die Fischer-Oper ward auf Eis gelegt.

Wenn ich mir einige der furchtbaren Versuche, deutsche Politik auf die Bühne zu bringen, so betrachte – die geschmacklose Dramatisierung von Hannelore Kohls Leben in der Oper Bonn, oder den bleiernen Humor des Angela-Merkel-Musicals –, bin ich erleichtert. Es hätte immer das Problem mit der deutschen Sprache gegeben. Eine Stunde und eine Flasche Pinot Noir ging bei unserem Versuch drauf, einen guten Reim auf Molotowcocktail zu finden. Und wie mit dem Hauptdilemma umgehen, dass deutsche Politik vor allem von dicken grauen Männern in Anzügen gemacht wird? Fischer, heute dick und grau, war lange genug voller Farbe – aber sein spektakulärer Lebenslauf allein würde die Zuschauer nicht zwei Stunden lang unterhalten. Das entscheidende Element, das deutschen Politgeschichten von der Strauß-Affäre bis zu Möllemann abgeht, ist Sex. Kein Wunder also, dass nun ein Muscial über David Blunkett geschrieben wird, den blinden Ex-Innenminister Großbritanniens. Ein sensibler, starker Mann, den Verlust und Einsamkeit verletzbar gemacht haben, was ihn wiederum – die merkwürdigen Formeln der sexuellen Chemie – für Frauen attraktiv gemacht hat. Die ehrgeizige verheiratete Herausgeberin des „Spectator“, des konservativen Politmagazins, erzählte ihm bei einer Party, dass sie mit einem blinden Mann schlafen wolle; daraus wurde eine Affäre. Sie war eine Männersammlerin. Nach einer Weile wollte sie weiterziehen, und zerstörte erst sein Herz und, als er Zugang zum gemeinsamen Kind wollte, seine Karriere.

Der Minister trat zurück (er hatte dem Kindermädchen seiner Geliebten ein Visum besorgt) und die Herausgeberin kehrte in ihre einsame Ehe mit dem Mann zurück, den sie nie richtig verlassen hatte. Ist das der Rohstoff für ein Musical – oder für ein Shakespeare-Tragödchen? So oder so wird klar, dass die Briten mehr Talent zum Skandal haben als die Deutschen. Sogar als Willy Brandt erstklassiges Skandalmaterial lieferte (Sex und Spione nach englischer Art), brauchte es einen britischen Dramatiker, Michael Frayn, um daraus Theater zu machen.

Der wahre Grund für Blunketts Rücktritt ist, dass er seine Kabinettskollegen mit abschätzigen Bemerkungen verärgert hat. Und für die Bevölkerung ist er den einen Schritt zu weit gegangen, als er den Personalausweis einführte. Davon kann unser anderer Musicalheld lernen: Fischer und Blunkett waren die populärsten Politiker in ihren Ländern, doch ihre Überlebensinstinkte waren vernebelt von Eitelkeit. Bei halbprivaten Gelegenheiten macht Fischer seine sicher nicht so talentierten Kollegen runter. Sieben Kabinettsjahre mit einem schwierigen, bisweilen uncharmanten Mann sind sehr hart. In der Koalition hat er inzwischen mehr Gegner als Freunde: das Blunkett-Syndrom.

Wie Blunkett zu weit in die eine Richtung ging – mehr Staatskontrolle über den Bürger –, ist Fischer zu weit in die andere gegangen: Die Visavergabe zu liberalisieren ist ein wahnsinniger Weg, um den verlorenen Traum von einer multikulturellen Gesellschaft zu retten. Alle europäischen Gesellschaften sind derzeit fein austariert zwischen dem Schutz des letzten Rests individueller Freiheit und dem Kampf gegen die wirkliche oder imaginäre Terrorgefahr. Wenn man dieses Gleichgewicht stört, verliert man schnell die Unterstützung der Gesellschaften. Politiker, so beliebt, dass sie Bühnenstars sein könnten, verlieren dann ihre Popularität so schnell wie das Eis auf dem Schlachtensee schmilzt. Joschka Fischer beginnt, sehr sehr angreifbar auszusehen. Ein Happy End für das unvollendete Muscial? Eher nicht.

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