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Oper und Krise: Erosion der Sinne

Wenn eine Gesellschaft im Kern nicht mehr weiß, wozu sie die Oper braucht – wer soll dann noch wissen, was die Oper braucht? Die Frage, wer an die Deutsche Oper gehört, hat sich längst zum Offenbarungseid der Berliner Kulturpolitik entwickelt.

Ostern, die Bäume schlagen aus, und nicht nur die Vöglein singen: Drei Opernpremieren hat Berlin in den vergangenen sieben Tagen gestemmt, alle Achtung. Wagner, Gluck, Respighi, für jeden etwas. Gleichzeitig finden Unter den Linden Festtage statt, die Mailänder Scala gastiert in der Philharmonie, Lang Lang ist da, und nach wie vor strömen Zuschauer aus der ganzen Welt herbei. Die Oper brummt. Die Oper boomt. Und je härter die Realität uns anfasst, umso prächtiger fühlt sich solcher elfenbeinerne Luxus an. Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist?

Wie sehr dieser schöne Schein trügt, zeigt die aktuelle Suche nach einem Intendanten für die Deutsche Oper Berlin ab 2011. Nicht nur, dass diese Suche verdächtig lange währt und die Liste der Abwinker und Neinsager Aktenordner füllt. Nein, die ganze Branche hat längst ein eklatantes Führungskräfteproblem. Das wurde letzten Sommer in Bayreuth evident (den Grünen Hügel teilen sich nun eine 64-Jährige und eine 31-Jährige), es spielte eine Rolle bei der Wahl von Jürgen Flimm (68) zum designierten Intendanten der Berliner Staatsoper, und auch bei den Salzburger Festspielen, wo Flimms Nachfolge verhandelt wird, knarzt es.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Zum einen hat man sich im späten 20. Jahrhundert herzlich wenig um den Nachwuchs bekümmert. Zum Zweiten vollzieht sich Kunst stets in Wellenbewegungen. Ging man früher in die Oper, um am Sockel großer Komponisten zu knien, so lehrten 1968 und die Folgen, im Gesamtkunstwerk das Hier und Jetzt zu suchen. In Zeiten der Krise schlägt dieses Pendel wieder zurück. Fünf Stunden „Lohengrin“, das heißt im April 2009 auch und vor allem: fünf Stunden ohne Opel, Daimler & Co. Menschen, die nicht mehr gelernt haben, die Oper um ihrer selbst willen zu lieben, empfinden das als dekadent. So leicht kündigt sich ein jahrhundertealter Konsens auf.

In der Bildung (des Geistes, des Herzens, der Sinne) hat eine gewaltige Erosion stattgefunden. Eine ihrer Folgen ist, dass die Opernwelt heute nur noch zwischen alten Hasen und Grünschnäbeln die Wahl hat. Die Generation der 40- bis Mitte/Ende 50-Jährigen ist aus dem Business so gut wie getilgt. Auf ein Obama- Wunder hofft man hier vergebens.

Wenn aber eine Gesellschaft im Kern nicht mehr weiß, wozu sie die Oper braucht – wer soll dann noch wissen, was die Oper braucht? Die Frage, wer an die Deutsche Oper gehört, hat sich längst zum Offenbarungseid der Berliner Kulturpolitik entwickelt. Namhafte Kandidaten scheuen den Schattenwurf von Daniel Barenboim und Jürgen Flimm (auch finanziell); und jugendliche Ehrgeizlinge dürften per se überfordert sein. Die Wahl von Donald Runnicles zum Generalmusikdirektor an der Bismarckstraße ist solide, aber nicht mehr. Neben ihm braucht das Haus dringend eine Persönlichkeit mit Visionen, Stehvermögen und einem sicheren Krisenmanagement. Dass Klaus Wowereit auch nur damit liebäugelt, dieses Profil auf mehrere Köpfe zu verteilen, zeigt, wie groß die Not ist.

Es zeigt außerdem, dass man aus der Geschichte nichts gelernt hat. Auch das Schillertheater wurde vor seiner Schließung von einer „Viererbande“ in Grund und Boden gewirtschaftet. Wer das für die Deutsche Oper nicht will, sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, dass eine Verlängerung von Kirsten Harms’ Intendanz über 2011 hinaus inzwischen längst nicht mehr die schlechteste Lösung wäre. Um vom Regen nicht in die Traufe zu geraten.

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Christine Lemke-Matwey

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