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Campus des Virchow-Klinikums der Charité.

© dapd

Operation Fehlerkultur: Die Charité ringt um ihren guten Ruf

Die Charité hat eine lange und erfolgreiche Geschichte. Doch Krisenmanagement gehört nicht zu ihrer Stärke. Nach den Verdachtsfällen der vergangenen Woche liegt es nun an Klinik-Chef Einhäupl, ihren Ruf wieder herzustellen - vom Vertrauen ganz zu schweigen.

Die Charité ist eine Erfolgsgeschichte, die weit über Berlin hinausstrahlt. Das Klinikum steht für großartige Fortschritte der Medizin, für wagemutige Ärzte und innovative Forschung. Bis heute. Europas größte Universitätsklinik mit über 12 800 Mitarbeitern, davon mehr als 3600 Wissenschaftler und Ärzte, hat sich nach dem Mauerfall neu erfunden. Am Ende der DDR war sie ein maroder Koloss, zusammengehalten vom verblassenden Ruhm, heute ist sie ein Forschungsriese mit enormer Drittmitteleinwerbung. Der Chef der Charité, Karl Einhäupl, hat großen Anteil am Erfolg. Auch seiner Beharrlichkeit und Energie ist zu verdanken, dass die Bundesregierung jetzt die Zusammenarbeit des Max-Delbrück-Centrums für Molekularmedizin und der Charité fördert. Er hat zudem nach langem Kampf mit dem Finanzsenator Ulrich Nußbaum die Modernisierung des schon zum Abriss verdammten Bettenturms erreicht.

Aber nach immer neuen Negativmeldungen, die die Menschen verunsichern, ist das Image der Klinik angekratzt. Erst schreckten Meldungen über gefährliche Darmkeime in der Frühchenstation auf, dann die Nachricht über eine scheinbar rabiat angedrohte Beinamputation eines krebskranken Kindes und nun besteht der Verdacht, dass ein Pfleger eine Jugendliche sexuell missbraucht haben soll und schon vorher aufgefallen ist.

Was ist da los, wollen die Menschen wissen – weil ihre Angehörigen dort behandelt werden oder sich Patienten fragen, ob sie den Beschäftigten noch vertrauen dürfen. Wer sich, ob als Erwachsener oder als Kind, in die Obhut dieses medizinischen Großunternehmens begibt, muss sich sicher fühlen dürfen – in jeder Hinsicht. Doch ob das so ist, daran sind Zweifel aufgekommen. Einiges gleicht sich: Sichtbar wird bei der Reaktion auf die bekannt gewordenen Vorwürfe ein gleiches Muster, und der Krankheitsherd liegt jeweils in der Führungsetage der Charité selbst. Das Krisenmanagement der Charité hat sich als mangelhaft erwiesen; Kommunikation zur rechten Zeit gehört offenbar nicht zur Stärke des Chefs. Es macht den Eindruck, als ob sich Einhäupl vornehmlich auf die großen Dinge konzentriert und darüber den vermeintlichen Kleinigkeiten zu geringe Beachtung zumisst.

Sowohl bei der Aufklärung, woher die Keime auf der Frühchenstation stammen, als auch bei den Missbrauchsvorwürfen hat Einhäupl zu spät, zu reaktiv und zu unzureichend informiert. Im letzteren Fall musste er zugeben, doch früher über den Missbrauchsverdacht informiert worden zu sein. Das kostet Vertrauen. Ein Schatten bleibt – selbst wenn sich wie bei den Keimen später herausstellt, dass die Charité sich nichts vorzuwerfen hat. Auch jetzt steht die Aufklärung des Missbrauchsvorwurf gegen den Pfleger noch aus und auch, ob das Klinikum frühere Hinweise ignoriert hat. Es reicht aber nicht, zunächst intern zu ermitteln, statt die Polizei einzuschalten, oder – wie bei den Keimen – nur mit bezirklichen Stellen und Gesundheitsämtern zusammenzuarbeiten. Auch die Öffentlichkeit hat ein Recht auf umfassende und rechtzeitige Aufklärung.

Vieles vermeintlich Nachrangige kann große Erfolge beschädigen. Der Charité-Chef hat zugegeben, die Tragweite des Verdachts nicht richtig eingeordnet zu haben. Wo es an Fehlerkultur fehlt, muss die Politik dafür sorgen. Das zu fordern, hat die auch für Wissenschaft zuständige Senatorin und Charité-Aufsichtsratschefin Sandra Scheeres (SPD) bislang versäumt und etwa beim Keimbefall noch keinen Anlass gesehen, die Kommunikationsstrukturen zu hinterfragen.

Informationsabläufe verbessern, Hinweisgeber ermutigen, ein Präventionskonzept entwickeln und von Mitarbeitern in besonders sensiblen Bereichen erweiterte Führungszeugnisse fordern, wären einige Schritte, mit der die jetzt eingesetzte Aufklärungskommission wieder Vertrauen schaffen könnte. Auch, um die Reputation einer weltweit bekannten Institution zu sichern, die für Berlin ein Wirtschaftsfaktor ist. Leuchttürme strahlen nicht nur hell, sie können auch scharfe Schatten werfen. Letzteres wäre fatal für die Charité.

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