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Meinung: Opfer zweiter Klasse?

Das KZ Sachsenhausen wurde von Nazis und Kommunisten genutzt Von Richard Schröder

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm hat Empörung ausgelöst, weil er bei seiner Gedenkrede im KZ Sachsenhausen auch daran erinnert hat, dass der sowjetische Geheimdienst dasselbe KZ als Speziallager weiterbenutzt hat. Der sanfteste Vorwurf lautet: unsensibel. Ein Vertreter der Häftlinge des NS-KZ hat ihm vorgeworfen, er „setzt die Mörder auf eine Stufe mit unseren Kameraden“. Er setzt also voraus, die Insassen des Speziallagers seien diejenigen gewesen, die für das Grauen im NS-KZ verantwortlich waren.

Solche Insassen gab es auch in diesem Speziallager, aber nur wenige. Hans Heinz etwa war für die „Kinder-Euthanasie“ in der Psychiatrischen Landesanstalt Brandenburg-Görden verantwortlich. Die inhaftierten Nazis waren aber meist kleinere und mittlere Funktionäre. Die gewichtigeren wurden nämlich meist sofort in die Sowjetunion gebracht. Ordentliche Gerichtsverfahren hat es auch für die Schuldigen nicht gegeben.

Sehr viele aber waren willkürlich und unschuldig inhaftiert. Kriterium war nicht, die Schuldigen des NS-Regimes zu bestrafen, sondern Gegner des Sowjetsystems auszuschalten, genauer: vermeintliche Gegner. Denn es wurde oft bloß auf Verdacht und auf Denunziation hin verhaftet, darunter sehr viele Jugendliche, die mit ihren 16 Jahren nun wahrhaftig keine Stützen des Systems gewesen sein konnten. Aus der Thüringer Stadt Greußen wurden 38 Jugendliche unter dem Vorwurf, der NS-Organisation der „Werwölfe“ anzugehören, eingeliefert. Ein Kommunist hatte sie denunziert. Er ist wegen erwiesener Unhaltbarkeit seiner Vorwürfe verurteilt worden, bloß hat das den Jugendlichen nicht geholfen. Denn sie hatten unter Folter gestanden und waren ebenfalls verurteilt. Nur 14 haben das Lager überlebt. Ich weiß, wovon ich rede, weil ich von solchen Schicksalen aus meinem persönlichen Umkreis weiß.

Im Speziallager fanden sich auch Sozialdemokraten, die sich der Zwangsvereinigung von KPD und SPD widersetzt oder SPD-Plakate geklebt hatten. Aber auch die sowjetischen Kriegsgefangenen in den NS-KZs wurden als Feinde behandelt. Es wurde ihnen vorgeworfen, dass sie lebendig in die Hände der Nazis gefallen waren. Sie wurden in die Speziallager gesperrt, bis sie in die Sowjetunion abtransportiert wurden, in den Gulag. Und manche waren zweimal in demselben KZ, wie der Kommunist Max Emmendörfer. 1936/37 war er von den Nazis in Sachsenhausen als Kommunist interniert. 1942 lief er als deutscher Soldat zur Roten Armee über. 1945 wurde er vom NKWD als angeblicher Gestapo-Spitzel wieder in Sachsenhausen eingeliefert.

In der DDR durfte man über all dies nicht sprechen. Dass wir nun schon wieder nicht über solche Schicksale sollen sprechen dürfen, empört mich. Die Unterscheidung von unschuldigen Opfern erster und zweiter Klasse ist inhuman.

Der Autor ist Theologe an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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