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Nach dem Organspendeskandal an der Göttinger Uni-Klinik wird der Ruf nach dem Staat laut.

© dpa

Organspende: Verstaatlichung verhindert Missbrauch nicht

Der Gedanke, dass die Verstaatlichung der Organspende Missbrauch verhindert, ist eine Illusion. Wer kriminelle Energie mitbringt, wird auch den amtlichen Organaufseher übers Ohr hauen. Trotzdem müssen Konsequenzen aus dem Organspendeskandal gezogen werden.

Wenn man nicht mehr weiterweiß, ruft man in Deutschland nach dem Staat. So auch im Fall des Organspendeskandals. Ein Oberarzt der Göttinger Uniklinik fälschte Laborergebnisse, um seinen Patienten Organe zu verschaffen, dabei hatte er offenbar einen Mittäter. Auch gegen die Regensburger Uniklinik werden Vorwürfe laut. Jetzt ermitteln Staatsanwälte, Haftstrafen werden gefordert – und eine Verstaatlichung der Organspende. Künftig soll eine Behörde die Vergabe von Spenderorganen regeln, dann gibt’s ein Organ mit Brief und Siegel vom Staat, und Schluss ist’s ein für alle Mal mit der Mauschelei. Eine Illusion. Wer kriminelle Energie mitbringt, wird auch den amtlichen Organaufseher übers Ohr hauen. Trotzdem müssen Konsequenzen gezogen werden.

Welchem Patienten ein Organ zusteht und wem nicht, diese Frage entscheidet angesichts des Mangels an Spendern über Leben und Tod. Es ist eine Frage, die sich niemals mit letzter Gerechtigkeit beantworten lassen wird. Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als bei Patienten, die eine Spenderleber brauchen. Da gibt es jene, deren Leber durch eine Knollenblätterpilzvergiftung ausgefallen ist. Sie brauchen sofort ein neues Organ, sonst sterben sie. Bei anderen Patienten zerfrisst eine chronische Entzündung unaufhaltsam das Organ. Viren, Tumoren oder Alkohol sind weitere Ursachen eines irreversiblen Leberschadens.

Hinter jeder Krankheit steht ein anderes menschliches Schicksal, ein anderer Krankheitsverlauf, eine andere Lebenserwartung. Trotzdem entscheidet seit 2006 ein vergleichsweise simpler Maßstab hauptsächlich darüber, welcher Patient eine rettende Leber bekommt. Der aus den USA importierte Messwert mit Namen Meld-Score kombiniert drei Laborergebnisse und reicht von sechs (am besten) bis 40 (am schlechtesten). Wer einen Score von 40 hat, wird ohne Spenderleber die nächsten drei Monate nicht überleben. Er bekommt zuerst ein Organ. Man kann sich fragen, wie fair das ist – vielleicht gibt es andere, nicht ganz so kranke Patienten, denen das Organ viel mehr helfen würde. Erfolgsaussichten und Dringlichkeit der Transplantation können im Widerspruch zueinander stehen.

Lebertransplantationen bringen einer Klinik Geld, Prestige, Fördermittel. Dagegen ist zunächst nichts zu sagen. Aber es sollte sichergestellt sein, dass unter der Masse nicht die Klasse leidet. In den USA wird überprüft, wie gut die Langzeitergebnisse nach einer Organverpflanzung sind, also die Überlebenschancen der Patienten. Sind sie zu schlecht, wird die Vergütung gekürzt. Miese Qualität bedeutet weniger Geld – klingt brutal, funktioniert aber als Mittel gegen unfähige Chirurgen. Das sollte auch bei uns Schule machen.

Es ist nur zu verständlich, dass ein Arzt für „seine“ Patienten ein Organ ergattern will. Das altruistische Prinzip der Organspende funktioniert jedoch nur, wenn sich alle an die Regeln halten. Kontrolle von außerhalb kann das erleichtern. Bei der Frage, welcher Patient auf die Warteliste für ein Organ kommt, könnte zukünftig ein Kollege eines anderen Transplantationszentrums als Gutachter hinzugezogen werden. Erst wenn dieser die Entscheidung abnickt, ist sie gültig.

Der SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat gute Gründe, um verärgert zu sein. Er hat eine Niere gespendet und das neue Transplantationsgesetz gefördert. Sein Vorschlag lautet, Transplantationszentren die Lizenz zu entziehen, wenn sie in illegale Praktiken verwickelt sind. Das könnte ein heilsamer Schock sein. Einen Kandidaten gibt es schon.

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