zum Hauptinhalt
Papst Benedikt XVI. ist ein Leiser im Lauten.

© dpa

Papst-Rücktritt: Benedikt XVI. ist ein Leiser im Lauten

Der Intellekt war sein Zuhause. Seine Reden entfalteten einen spirituellen Kosmos. Sie waren nicht laut, aber wirkungsvoll, meint Malte Lehming. Und doch ist Papst Benedikt XVI. auch eine tragische Figur. Eine, die fehlen wird.

Ein Papst fällt aus der Zeit, und er bindet sich an keinen Raum. Doch zeitlos heißt nicht ewig und raumlos nicht ungebunden. Benedikt XVI. fühlte sich im Denken wohl, der Intellekt war sein Zuhause. Wenn er redete - meist leise, manchmal nuschelnd - entstand ein faszinierendes Gemälde vom spirituellen Kosmos der Dinge. Vielleicht zerbrach er letztlich auch an den Strukturen im Vatikan, war zu geistig für die irdischen Intrigen um Macht und Einfluss. Das lässt ihn tragisch wirken. Ein Missverstandener, ein Solitär, ein Universalist, ein Meister des Wortes. 

Das begann mit seiner Herkunft. Ein Deutscher, der in der Hitlerjugend war und einen reaktionären Holocaustleugner rehabilitieren wollte. Ja, geht’s noch? Der Scheuklappenperspektive seiner vielen Kritiker indes setzte Papst Benedikt sich selbst entgegen – sein Zeugnis, seine Lehre. Zweifel etwa an der Lauterkeit seiner Einstellung zum Judentum, zum Antisemitismus oder zum Verbrechen der Schoah erwiesen sich nicht nur als unbegründet, sondern vor allem als lächerlich. 

Ebenso töricht war die Annahme, der deutsche Papst sei ein deutscher Papst. In dieser Reduktion auf seine geographische Heimat schwangen stets patriotische Überhöhung und globale Ignoranz mit. In ganz Europa lebt nur knapp ein Viertel der rund 1,2 Milliarden Katholiken. Weltweit wächst das Christentum nicht hier, sondern in Afrika und Asien. Dort aber treiben die Gläubigen oft andere Sorgen um als die Themen Missbrauch, Homosexualität, Frauenemanzipation. Der Pontifex ist das Oberhaupt aller Katholiken. Ihn eurozentristisch, gar teutonisch verstehen zu wollen, führt in die Irre.

Freilich fand Benedikt XVI. im Kampf gegen das schrumpfende christliche Leben in Europa eines seiner zentralen Anliegen. Beim Weltjugendtag in Madrid beklagte er die „Gottesfinsternis“, er wetterte gegen die „aggressiven Formen des Säkularismus“, warnte, dass eine Verdrängung Gottes aus dem öffentlichen Leben zu einer „herabwürdigenden Sicht des Menschen“ führe. An dieser Aufgabe allerdings, der Revitalisierung des Christentums in Europa, scheiterte der Papst. Religionsferne und religiöse Aversionen nehmen zu.

Das zeigt sich an Minarettbauverboten und Kopftuchzwistigkeiten ebenso wie an der Beschneidungskontroverse, die ausgerechnet in Deutschland tobte. Die Freiheit, „seinen Glauben ungehindert zu praktizieren“, wie sie in der Menschenrechtscharta postuliert wird, ist kein selbstverständlicher Wert mehr.

Rücktritt fällt zusammen mit einer Krise des Katholizismus

Katholizismus und Christentum sehen sich im Westen daher doppelt herausgefordert. Zum einen durch antireligiöse Ressentiments, zum anderen durch das gesellschaftsprägende Gewicht einer anderen großen Religion, dem Islam. Diese Trends erzeugen gleichzeitig isolationistische wie auch verbindende Tendenzen. Im Beschneidungsstreit schlossen sich Juden, Christen und Muslime zusammen. Als Moment der Entfremdung indes zwischen Christen und Muslimen gilt bis heute die Rede des Papstes im Jahre 2006 an der Universität Regensburg, als er einen byzantinischen Kaiser, der sich mit einem Perser unterhält, mit dem provokanten Satz zitierte: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und das wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“ Die Organisation der Islamischen Konferenzen, der 57 Staaten angehören, sprach anschließend von einer „Verleumdungskampagne“.

Auch dieses Missverständnis beruht auf einem Anspruch: Papst Benedikt XVI. hat früh signalisiert, sich mit dem Islam theologisch auseinandersetzen zu wollen. Seine erste Enzyklika, gewissermaßen die Regierungserklärung seines Pontifikats, lautete „Gott ist die Liebe“. Der christliche Gott der Liebe als radikale Antithese zu jenem Wesen, auf das sich Terroristen berufen: „In einer Welt, in der mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass und Gewalt verbunden wird, ist dies eine Botschaft von hoher Aktualität und von ganz praktischer Bedeutung“, schreibt der Papst in seiner Begründung.

Bleiben wird zudem der Einsatz des Papstes für die weltweiten Rechte von Christen. Ob im Irak oder in Nordkorea, in China oder Saudi-Arabien: In der Bibel zu lesen und an Jesus zu glauben, kann buchstäblich lebensgefährlich sein. Vor dem Verfolgungs- aber auch Wachstumshintergrund verlieren die historisch gewachsenen Trennungsmomente des Christentums in Europa an Relevanz. Synkretistische Formen christlicher Existenz werden immer mehr zur Norm, Katholizismus und Protestantismus in Reinform gibt es kaum noch.

Beim letzten Besuch von Papst Benedikt in Berlin schrieb die „Süddeutsche Zeitung“: „Die Kraft dieser Kirche zeigt sich in der Vehemenz, mit der ihr Oberhaupt abgelehnt wird.“ Wenn’s denn so wäre! Vielmehr fällt die Rücktrittsankündigung von Papst Benedikt XVI. zusammen mit einer schweren Krise des Katholizismus, zumindest in Deutschland. Die Attraktion, die einst ausging von der ethischen Unbestechlichkeit des Papstes, hat sich durch die Konfrontation mit Lebenswirklichkeiten in den Dauervorwurf des Dogmatismus verwandelt. Er hat auch das geahnt und in seiner Botschaft antizipiert. „Wenn der Blick auf das Negative fixiert bleibt“, sagte der Papst in seiner abendlichen Messe im Olympiastadion, „dann erschließt sich das große und tiefe Mysterium der Kirche nicht mehr.“

In einer Welt, die das Leise mit Bedeutungslosigkeit und das Laute mit Überzeugungskraft verwechselt, wird er fehlen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false