zum Hauptinhalt
Wenn sowieso keiner kommt, können auch die Mikrophone ausgestellt werden.

© dpa

Parlamentarismus in Deutschland: Das große Gähnen

Kaum Debatten, fehlender Respekt. Die Bundesregierung lässt sich nur ungern im Parlament befragen – das rügt nicht nur Bundestagspräsident Norbert Lammert. Aber der tut's wenigstens. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Immer wieder mittwochs in den Sitzungswochen des Bundestages, exakt ab 13 Uhr, beginnt im Hohen Haus rituelle Langeweile. Dann steht die „Befragung der Bundesregierung“ auf der Tagesordnung. Dabei wählt die Regierung nicht nur selbst die Themen aus, zu denen sie sich gnädigst befragen lassen möchte, nein, die Minister mogeln sich auch gerne um ihre Anwesenheitspflicht herum. Norbert Lammert, der Präsident des Bundestages, hatte am vergangenen Mittwoch die Nase voll von der eingefahrenen Arroganz der Exekutive. Im Ältestenrat verkündete er grimmig, die nächste Befragung würde er absagen, wenn sich die Regierung wieder um Präsenz drücke.

Was war geschehen? Das Bundeskabinett hatte gerade den Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit verabschiedet, eigentlich ein Megathema des vereinten Deutschland. Aber nicht etwa der zuständige Bundeswirtschaftsminister, Sigmar Gabriel, trug vor, sondern seine Parlamentarische Staatssekretärin, Iris Gleicke. Die machte es gut, nur: Ein PS ist kein Regierungsmitglied. Was die Lage noch verschlimmerte aus der Sicht Lammerts: Nicht nur Gabriel kniff – kein einziger Minister war da.

Mit einer großen Koalition, die von mehr als zwei Dritteln der Abgeordneten getragen wird, wird es unerträglich

Dass es Bundesregierungen gleich welcher Farbzusammensetzung gegenüber dem Parlament an Respekt fehlen lassen, ist nicht neu. Genauso wenig wie die Kritik am eingefahrenen Muster der Fragestunden und der Befragung der Bundesregierung, was nicht dasselbe ist. Lammerts Vorgänger, Wolfgang Thierse, lacht nur trocken, wenn man ihn darauf anspricht: Der Versuch, den parlamentarischen Alltag durch solche Diskursübungen lebendiger zu machen, ist fehlgeschlagen, sagt er, es sei ziemlich langweilig geworden.

Was schon immer unschön war, wird mit einer großen Koalition, die von mehr als zwei Dritteln der Abgeordneten getragen wird, unerträglich. Die Redezeiten für die Vertreter der Opposition sind lächerlich kurz, bei den Debattenbeiträgen von Christ- und Sozialdemokraten hält fast zwangsweise die Qualität mit der Quantität nicht Schritt, und bei der letzten Befragung waren von 300 Unionsabgeordneten auch nur zwei (!) Parlamentarier präsent. Das haben weder Linke noch Grüne gerügt, sondern – Lammert, im Ältestenrat.

Dem stieß noch etwas anderes übel auf. Im Gesetzentwurf der Regierung zur Änderung des ESM-Finanzierungsgesetzes fehlen die vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Mitwirkungsrechte der Volksvertretung. Das muss geändert werden, sagt er. Und was sagt die Regierung? Sorry, dumm gelaufen? Erst einmal sagt sie nichts, und befragen lassen wird sie sich dazu auch kaum.

Das freie Spiel von Rede und Gegenrede unter Einbeziehung der Minister

Fakt bleibt, dass wir hier über eine der Ursachen von Politikmüdigkeit reden. Die für die Öffentlichkeit sichtbare Parlamentsarbeit wirkt immer dann anregend, ja mitreißend, wenn sich das freie Spiel von Rede und Gegenrede unter Einbeziehung der Minister entfalten kann. Eine Bundesregierung, die Angst davor hat, dass die Kanzlerin auch einmal direkt befragt wird, und die das große Gähnen lieber in Kauf nimmt als das Risiko, der Regierungschefin könne mal keine spontane Antwort einfallen, sollte besser ein Selbstfindungsseminar buchen. Und sich nicht um Merkel sorgen. Die kann beißen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false