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Parteienkritik: Flügellose CDU

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel gilt das Bündnis aus Soziallehre, Liberalismus und Konservatismus nicht mehr. Ihre Stärke besteht darin, dass es sie nicht stört, wenn auseinanderfällt, was einmal zusammengehört hat.

Im nunmehr achten Jahr ist sie Vorsitzende der CDU, Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, und es wäre höchst unangemessen, das Parteiamt gering zu schätzen. Nur beides zusammen erlaubt den geschmeidigen Politikstil, mit dem die Kanzlerin immer wieder Rätsel aufgibt, wofür sie steht und was sie will. Ist die Reformerin des Leipziger Parteitags 2003 und des Bundestagswahlkampfs in der großen Koalition verschwunden? War die Reformerin ohnehin bloß eine taktische Kopfgeburt, nicht anders als die Merkel, die in diesem Dezember vor dem Hannoveraner Parteitag die Managergehälter angeprangert hat? Wahrscheinlich. Und doch ist Merkel eine Partei-Modernisiererin von hohen Graden.

Es ist schon verwegen, innerhalb von vier Jahren erst den Protagonisten der christlichen Soziallehre und dann den führenden Vertreter der marktliberalen Strömung aus der CDU zu exkommunizieren. Norbert Blüm wurde nach Leipzig zur Randfigur, Friedrich Merz verzichtete gleich selbst darauf, in Hannover irgendeine Rolle spielen zu wollen. Mit der dritten geistigen Tradition, der national- konservativen, ist es auch nicht mehr weit her, seit Jörg Schönbohm in der Bundespartei nichts mehr zu sagen und Günther Oettinger für seine Filbinger-Rede nachhaltig den Bescheid erhalten hat, dass der rechte Rand so nicht bedient werden darf.

Ersatz ist jeweils nicht in Sicht. Es sei denn in der wechselnden Gestalt der Parteivorsitzenden selbst, die ihrerseits den Rüttgers, Müllers, Wulffs oder Kochs die begrenzten Rollen lässt, die Ministerpräsidenten zwischen Kanzlerin- Disziplin und dem Kampf um die jeweiligen Landesmehrheiten nur spielen können. Das alte Bündnis von christlicher Soziallehre, Liberalismus und Konservatismus trägt die CDU nicht mehr. Vorerst scheint es, als reichten taktische Antworten auf die Herausforderungen des alten Fundaments: Etwas Betreuungsgeld auf die Wunden, die das neue Familienbild hinterlässt. Nein zum Mindestlohn, Ja zu diversen Mindestlöhnen. Intervention der Klimakanzlerin in Brüssel, für die deutschen Autos.

Kann das gut gehen? Volksparteien sind Tanker, die jähe Wendungen nicht vertragen. Die CDU ist deshalb trotz bester Umfrage- Aussichten verunsichert; sie fühlt den Nachhall der letzten Bundestagswahl, die eine siegessichere Partei jäh auf den Boden geholt hat. Der gute Christdemokrat weiß im Innersten, dass sich nicht vorhersagen lässt, was die Bevölkerung in diesen Zeiten will und wählt, und dass die Reformfreude des durchschnittlichen CDU-Wählers nicht ausgeprägter ist als die des SPD-Wählers. Und leidet doch, wenn die traditionelle Wirtschaftsnähe der CDU kränkelt, ob nun wegen Mindestlohn oder Managergehältern.

Merkels Stärke besteht darin, dass sie kein Leiden daran hat, wenn auseinanderfällt, was einmal zusammengehört hat. Wo andere das Versagen eines vormals lebendigen Organismus – und damit ihr eigenes – beklagen, sieht sie nüchtern die neuen Verhältnisse am Werk. Und unter denen kann die CDU nicht so bleiben, wie sie ist. Merkels CDU hat bei Familie, Zuwanderung und Klimapolitik den Mehltau von Jahrzehnten abgelegt, fast ohne es zu bemerken. Das ist gut gegangen. Denn die CDU versteht sich als geborene Regierungspartei – diese Tradition hält auch die Parteivorsitzende unverändert hoch. Ob das genug ist, wenn die CDU ernsthaft gefordert wird, durch Abschwung, durch die Wähler oder die politische Konkurrenz?

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