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Meinung: PDS: Lob der Demokratie

Die Demokratie kann ihren Feinden verzeihen, die Diktatur nicht. Denn Diktaturen brauchen Feinde, um sich selbst zu verstehen - ohne Gegner verliert die Diktatur ihre Existenzberechtigung.

Die Demokratie kann ihren Feinden verzeihen, die Diktatur nicht. Denn Diktaturen brauchen Feinde, um sich selbst zu verstehen - ohne Gegner verliert die Diktatur ihre Existenzberechtigung. In der Demokratie hingegen ist dieser Abgrenzungszwang nicht notwendig. Die Demokratie erlaubt auch ihren Gegnern den Wechsel, die Möglichkeit besserer Einsicht. Das ist mehr als menschenfreundlich, viel mehr. Denn ein System, das seine Gegner integrieren kann, ist jedem System überlegen, das seine Gegner verfolgen, zerstören und ausbürgern muss. Auch deshalb ist die DDR an sich selbst gescheitert, nicht die Bundesrepublik.

So ist es kein Zeichen der Schwäche, wenn heute eine Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin debattiert wird - im Gegenteil. Es beweist jene pragmatische Flexiblität, die die Demokratie auszeichnet. Denn die PDS ist mehr als ein Übergangsphänomen. Viele haben in den 90ern auf die "biologische Lösung" des PDS-Problems gehofft. Vergeblich. Gegen alle Wahrscheinlichkeit hat sich die Partei im Osten etabliert - und sie hat sich einen neuen Sinn gegeben. Sie ist mehr als die bloße Traditionskompanie der DDR, mehr als bloß eine Organisation, die den Übergang der DDR-Eliten ins neue Deutschland abwickelte. Sie repräsentiert ein Lebensgefühl im Osten. Viele, beileibe nicht nur SED-Betonköpfe und Opportunisten, haben dort seit 1990 das Gefühl, dass sie in der neuen Republik unter Generalverdacht stehen. Die PDS hat dieser (eher vorpolitischen) Stimmung zu ihrem Ausdruck verholfen, manchmal zu Recht, oft ressentimentgeladen. Damit hat sie erfolgreich eine Leerstelle im politischen Spektrum besetzt.

Und das ist ihr Problem. Die PDS beheimatet zwei Milieus: eine sozialdemokratische, reformistische Führungsschicht, die die Politik macht, und eine Basis, die zum Gutteil aus Heimatvertriebenen besteht, die die DDR retten wollen. Nicht zuletzt der Außendruck, die noch immer mobilisierbare, wenn auch schwindende Lagermentalität im Westen, presst zusammen, was eigentlich nicht zusammen gehört.

Deshalb gestaltet sich das Verhältnis der PDS zur SED-Vergangenheit frei nach Lenin: eineinviertel Schritte vor, einen zurück. Deshalb dürfte die PDS sich am heutigen Montag ziemlich klar vom Mauerbau distanzieren - während gleichzeitig in einem Entwurf für den Leitantrag des Dresdner Parteitags die DDR-Geschichte in freundlich-kritischen, diplomatischen Worten geschildert wird.

Durch die Neuwahlen in Berlin ist die PDS in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt - und das ist auch gut so. Denn damit steigt der Druck, die Kompromisslinie, Zentimeter für Zentimeter, weg von der Traditionsfraktion zu verschieben. Das muss die Partei leisten, das wird sie auch, wenn die Reformer nicht abrupt ihr strategischer Verstand verlässt. Die entscheidende Frage lautet: Ist der Kompromiss-Kurs in Vergangenheitsfragen wirklich ein plausibler Grund, um die PDS dauerhaft von der Regierungsverantwortung auszuschließen? Über die reale Macht in der Partei verfügen die Reformer - schon weil der Nostalgieflügel wenig Interesse an gegenwärtiger Politik hat. Wie weit die PDS-Reformer gehen, um ihre realpolitischen Chancen zu wahren, das zeigte sich kürzlich, als Harald Ringstorff im Bundesrat gegen alle Absprachen für die rot-grüne Rentenreform stimmte. Der Protest der PDS gegen diese öffentliche Demütigung fiel erschreckend matt aus.

In Berlin droht nun ein Lagerwahlkampf - und damit eine Reideologiesierung. Doch darunter verbirgt sich eine andere, gegenläufige Tendenz. Auch ein rot-rot-grüner Senat wird vor allem sparen müssen. Auch auf Kosten der PDS-Klientel. Wenn die PDS in Berlin einen radikalen Sparkurs mit durchsetzt, wird dies einen enormen Realitätsschub für die Partei bedeuten. Falls sie daran scheitern sollte - dann verliert sie ihr strategisches Ziel, die Idee, die sie zusammen hält: den Traum, nicht länger das Schmuddelkind sein zu müssen. Schwer zu sagen, wie das Spiel ausgeht. Genau das gehört zur Demokratie: das Offene, das Risiko zu scheitern.

Stefan Reinecke

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