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Wer pflegt gebrechliche Alte? Die Bundesfamilienministerin wollte es mehr Menschen ermöglichen, Angehörige selbst zu pflegen.

© dpa

Pflege: Zu viele Reförmchen

Kristina Schröder steht in der Kritik, weil ihre "Pflegezeit" bei den Bürgern offenbar nicht ankommt. Doch sie ist längst nicht die erste und einzige, die bei der Pflegereform zu kurz wirft.

Ach, es war ja gut gemeint. Wer zu Hause nahe Angehörige pflegt, soll eine Auszeit bekommen, soll seine Arbeit zwei Jahre lang reduzieren können. Endlich tut jemand mal was für die Familien, die über Pflegefälle in Not geraten und nicht selten darüber verzweifeln. Endlich eine Ministerin, die verstanden hat, dass hier etwas getan werden muss. Kristina Schröder. Wirklich, gut gemeint.

Aber gut gemeint heißt noch lange nicht gut gemacht. Jetzt, zwölf Monate nach Einführung dieser Pflegeauszeit, liegen Zahlen vor. Sie zeigen eindrucksvoll und schwer widerlegbar: Das Schröder-Modell ist komplett danebengegangen. Nicht einmal 200 Menschen haben es im zu Ende gehenden Jahr in Anspruch genommen. Bei mehr als zwei Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland heißt das – fast niemand.

Ist die Not also doch nicht so groß? Keineswegs. Das Scheitern des Modells belegt vielmehr, dass es von Anfang an ein ziemlich hilfloser Versuch war, der meilenweit an den Realitäten vorbeiging. Denn die durchschnittliche Pflegezeit beträgt heute 8,2 Jahre. Eine schier endlos lange Zeit. Eine Lösung der damit entstehenden familiären Probleme konnte eine auf zwei Jahre limitierte Arbeitszeitverkürzung deshalb natürlich nicht bringen. Dazu kommt, dass das Schröder’sche Angebot Angehörige weiter in einer oftmals unerträglichen Doppelbelastung belässt. Wer einen Pflegefall zu Hause hat, der 24 Stunden am Tag betreut werden muss, für den sind 15 Stunden Arbeitsreduzierung in der Woche allzu geringfügig. Kein Wunder also, dass das Modell kaum jemanden interessiert.

Weshalb man um eine unschöne Wahrheit nicht herumkommt. Die Politik hat in Sachen Pflege versagt. Und zwar notorisch. Egal, welche Koalition an der Reihe war, Rot-Grün, Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb – keine hat es geschafft, sich den Problemen wirklich zu stellen. Allesamt haben sie zu Beginn ihrer Regierungszeiten viel versprochen, eine echte Pflegereform in Aussicht gestellt. Aber als dann die Zeit des Handelns gekommen war, wurde die große, große Reform immer kleiner und kleiner, bis sie schließlich fast unsichtbar war. Noch vor zwei Jahren hat Philipp Rösler, damals noch Gesundheitsminister, ein „Jahr der Pflege“ ausgerufen.

Was unter seinem Nachfolger Bahr herausgekommen ist und nun zum 1. Januar 2013 in Kraft tritt, ist weit hinter diesen Anspruch zurückgefallen. Tropfen auf heiße Steine: ein bisschen mehr Geld für Demenzkranke, Unterstützung von Pflege-WGs, Förderung von Zusatzversicherungen. Auch das alles gut gemeint. Aber gut gemacht? Siehe oben. Und man muss nach all diesen Erfahrungen kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass auch die nächste Regierung, die im September 2013 gewählt wird, welche es auch immer sein mag, nach diesem altbekannten, niederschmetternden Muster verfahren wird.

Dabei gibt es kaum ein Feld der Politik, das dringlicher der Lösung, und zwar einer großen Lösung harrte. Bald wird es in Deutschland drei Millionen Pflegefälle geben, in der Mitte des Jahrhunderts werden es schon fünf Millionen sein. Das ist bekannt seit vielen, vielen Jahren, der demografische Wandel ist unabänderlich. Für alle die Menschen, die Betreuung brauchen, und für deren Angehörige menschenwürdige Bedingungen zu schaffen, das muss endlich in die Spitzenpositionen der politischen Agenda aufrücken. Es gibt Weniges, was wichtiger wäre. Sonst verspielt das Land seine Zukunft.

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