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Meinung: Philippinen: Marienkult der Demokratie

Glücklich das Land, das eine Gloria Arroyo hat. Zum zweiten Mal in der jüngeren Geschichte der Philippinen hat peoples power über ein autoritäres und korruptes Regime triumphiert.

Glücklich das Land, das eine Gloria Arroyo hat. Zum zweiten Mal in der jüngeren Geschichte der Philippinen hat peoples power über ein autoritäres und korruptes Regime triumphiert. Wieder stand eine Frau an der Spitze der Protestbewegung gegen den verbrecherischen und überforderten Macho an der Spitze des Staates - welch fortschrittliches Rollenspiel. 1986 jagte eine Protestbewegung unter der Führung von Corazon Aquino den Diktator Marcos aus dem Malacanang-Palast - der Schuh-Reichtum seiner Frau Imelda wurde zum Sinnbild für die obszöne Bereicherung in einer Gesellschaft, deren erdrückende Mehrheit aus verarmten Bauern und perspektivelosen Slum-Bewohnern besteht.

2001 stürzt peoples power den unfähigen und bestechlichen Präsidenten Estrada. Gloria Macapagal Arroyo, bisher Vizepräsidentin, führte die Bewegung und ist nun nach Corazon Aquino die zweite Frau im höchsten Staatsamt. Die renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin verspricht neue moralische Standards, sagt der Armut den Kampf an und der üblichen Vetternwirtschaft: durch ein Verbot der Geschäfte von Amtspersonen mit Familienmitgliedern. Corazon Aquino und Gloria Arroyo - welch wunderbare Emanzipationsgeschichte!

Oder? Denn so bedenklich dürfte man es auch schildern: Die Philippinen sind seit 14 Jahren eine Präsidialdemokratie. Als das Staatsoberhaupt unter Korruptionsverdacht gerät, vertraut man nicht etwa auf die Institutionen des Rechtsstaats. Sondern unter tatkräftiger Mithilfe der Kirche, die ihre verfassungsmäßigen Rechte weit überschreitet, wird der gewählte Präsident durch den Druck der Straße gestürzt - und das Militär erteilt seinen Segen dazu. Armeechef Angelo Reyes brachte Estrada aus dem Palast: eine sinnfällige Illustration, wer tatsächlich das politische Sagen hat. So gesehen, ist Estradas Sturz keine emanzipatorische Erfolgs-Story. Sondern ein Beleg, dass das Machtkartell der alten Hierarchien weiter funktioniert und nur pseudodemokratisch verbrämt wird. Stammt nicht auch Gloria Arroyo aus der Klasse der Großgrundbesitzer? Und wäre sie ohne ihre Herkunft überhaupt Vizepräsidentin geworden?

Entscheidend ist die Frage nach der Nachhaltigkeit von peoples power. Die Philippinen sind nicht mehr das Land, das sie 1986 waren. Die Benachteiligten können sich heute besser Gehör verschaffen als unter Marcos. Die Armee kann sich nicht mehr bedingungslos auf ihr Bündnis mit der Staatsführung verlassen. Sie muss sich rechtzeitig an der Korrektur beteiligen, sonst gefährdet sie auf lange Sicht ihren Einfluss. Die Frustrationen der Benachteiligten und die Sorge der Mittelschicht sowie der Unternehmen können heute den Anstoß zu einer Protestbewegung geben. Aber sie allein können den Sturz des Präsidenten weder über die von der Verfassung vorgegebene Prozedur noch über die Straße erzwingen.

Deshalb ist es gefährlich, Aquino und Arroyo zu demokratischen Lichtgestalten zu stilisieren. Die damit verbundenen Hoffnungen müssen sie zwangsläufig enttäuschen. Arroyo wird rasch an die Grenzen ihrer Reformbemühungen stoßen. Weder in Asien noch in Afrika kann eine einzelne charismatische Figur den Durchbruch zur Zivilgesellschaft erzwingen. Es dauert Jahrzehnte, die strukturelle Rückständigkeit zu überwinden. Erst wenn der Wandel eine breite Mehrheit erfasst, wird er nachhaltig.

Arm das Land, das keine Gloria Arroyo hat? Nein, glücklich das Land, das keine Gloria Arroyo mehr nötig hat.

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