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Meinung: Philosophie mit System

Was von Jürgen Klinsmann bleiben muss – mindestens für den Fußball

Der Sommer des Vergnügens – soll er nur so kurz gewesen sein? Richtig ist, dass ein Gefühl des Alleingelassenwerdens aufkommt. Der Alltag hat uns wieder. Jürgen Klinsmann geht. Da droht wie vor der Weltmeisterschaft die Gefahr, dass der Boulevard nicht sieht, was er uns gebracht hat, aus Kalifornien nach Deutschland mitgebracht hat.

Gewonnen haben wir trotzdem, bleiben werden die Sympathien. Klinsmann hat in bloß zwei Jahren maßgeblich dazu beigetragen, seiner Heimat weltweit ein anderes Gesicht zu geben. Nur sein Zuhause ist woanders. So sieht gelebte Globalisierung aus.

Er ist mit System vorgegangen: Denke vom Ende her. Definiere das Ziel und den Weg dorthin. Sei mutig und unerschrocken, dabei teamwillig und lernfähig. Trenne dich von dem, was dich und das Team schwach macht. Erkenne die Stärken und baue sie aus. Modern ist das und folgt doch einem traditionellen Ansatz. Klinsmann und sein Nachfolger Joachim Löw haben von Philosophie gesprochen, nicht zu Unrecht.

Macht ist kein Selbstzweck, es reicht nicht, sie zu haben. Wer so wie Klinsmann und Co. damit umgeht, der erreicht die Köpfe und gewinnt, wenn’s ganz gut geht, die Herzen. Und wer das schafft, schafft Veränderung, wichtiger noch: eine aus sich selbst heraus. Die Weltmeisterschaft hat gezeigt, wohin Begeisterung tragen kann. Nun muss sie aber Bestand haben, die Philosophie mit System. Das hilft dem Fußball wie dem Land.

Der Effekt seines Neins, so kurz danach, ist so stark wie das Gefühl des Beglücktseins während der WM. Aber das ist es auch: die glückhafte Begegnung mit einem autonomen Menschen, der gab, was er zu geben hatte. Zu geben bereit war. Es ist nur ein wenig übertrieben zu sagen: Er hat Millionen und sogar den DFB auf ein neues Feld geführt.

Es hätte alles nur einen Sommer währen können. Führung bedeutet aber auch, loslassen zu können, und Klinsmann lässt los. Seiner Familie wegen, seiner selbst wegen – und zur Erhaltung des Systems. Das kann sich jetzt von ihm lösen. Bliebe er und scheiterte, würde es mit ihm entsorgt. So schnell wird das nun nicht geschehen.

Ihm ging es nicht darum, die deutsche Fahne stolz im Wind knattern zu lassen. Und nicht Nationalismus herrschte in den vergangenen Wochen, sondern Patriotismus, manchmal Partyotismus. Weil Millionen Deutsche die Fahne geschwenkt haben, soll doch niemand fordern, dass er sie weiterträgt. Wie gut, dass ihm mit dem Appell ans Nationalgefühl nicht beizukommen ist. Viel besser, dass einer das leben will, was von allen so oft gefordert wird: das eigene Tun zu reflektieren, das Gewesene zu analysieren, um daraus zu lernen, sich fortzubilden. Zu reifen.

Die WM war seine Mission. Die ist beendet, der Missionar mit seiner Glaubenstechnologie erschöpft. Wer sich selbst nicht motivieren kann, wie soll der andere motivieren. Es waren zwei Jahre, denn es gibt keine Lösungen für die Ewigkeit. Und der Alltag ist Heldentum von Zeit zu Zeit.

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