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Piratenjagd: Volle Fahrt voraus

Es wird Zeit für Ehrlichkeit. Für eine Debatte zum Beispiel, für eine – militärisch gesprochen – Beurteilung der Lage und einen Entschluss: Nämlich im Bundestag zum Beschluss darüber zu kommen, mit welchen Mitteln Deutschland und seine künftigen Regierungen welche Interessen wahrnehmen wollen.

Piratenjagd! Wie das nur schon klingt, so wild, halb romantisch, nach Klabautermann und Störtebeker und Johnny Depp in der Karibik. So ist es aber nicht, ganz und gar nicht. Die Wirklichkeit heute ist wie die von gestern, nur anders ausgerüstet. Rohheit herrscht, und Geldgier, und mancherorts die schiere Not, die dazu führt, dass Schiffe aufgebracht, dass sogar große Tanker angegriffen werden. Ja, und nun rufen also deutsche Reeder nach Fregatten der Bundesmarine, damit die Ordnung auf den Weltmeeren schaffen, an welchem Kap auch immer. Wie das klingt? Nur nach Problemen.

Das erste Problem. Die Flagge von, sagen wir, Panama ist gern genommen auf deutschen Schiffen, wenn es darum geht, Kosten zu sparen. Kommt halt eben billiger, das Ganze, nicht wahr, und wer will dagegen in diesen Zeiten etwas sagen? Die Bundesregierung müsste es tun. Sie könnte, beinahe buchstäblich, Flagge zeigen und den Reedern, die bisher so handeln, erklären, dass alles seinen Preis hat, auch der Schutz. Und sei der Preis das Bekenntnis zum Land und seinen Steuerbehörden. Zu viel verlangt? Ist es nicht, denn immerhin sollen sowohl Material als auch, wichtiger, Menschenleben eingesetzt werden, um deutsche Wirtschaftsinteressen zu schützen.

Womit wir beim zweiten Problem wären. Es geht ja nicht immer nur um Wirtschaftsinteressen, sondern genauer um deutsche Interessen. Welche sind das eigentlich im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, der Politik in und mit aller Welt unter geänderten Vorzeichen, und mit einer Bundeswehr, die insgesamt 70 000 Mann und Frau bereithalten muss, um international so aktiv wie gegenwärtig zu sein.

Da fallen dann wiederum zwei Punkte auf. Der letzte, der deutsche Interessen in einem Überblick zu definieren versucht hat, war wohl – jedenfalls gefühlt – Alfred Dregger, unter Helmut Kohl Fraktionschef der Union. Er sprach vor Jahrzehnten in Washington über dieses Thema, das seinerzeit auch keiner hören wollte. Heute wäre es aber umso nötiger, jetzt, da Deutschland souverän ist und zunehmend überall präsent sein soll, sich wirklich mit dem auseinanderzusetzen, was eine europäische Mittelmacht kann und soll. Das muss ja keine Charta sein, kein Handbuch des „Was-wäre-wenn“; aber eine umfassende Selbstvergewisserung in Gang zu setzen, ist überfällig. Nicht erst wegen der Piraten.

Artikel 87 a Grundgesetz sagt, dass der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt. Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Und genau hierum geht es: um mehr Genauigkeit. Der Auftrag ist unverändert seit der Vereinigung, aber kann das sein, darf das sein, wo sich die Welt so sehr verändert hat? Ist das politisch verantwortliches Handeln gegenüber 250 000 Soldaten und 117 000 Zivilangestellten? Nein. Es wird Zeit für Ehrlichkeit. Für eine Debatte zum Beispiel, für eine – militärisch gesprochen – Beurteilung der Lage und einen Entschluss: Nämlich im Bundestag zum Beschluss darüber zu kommen, mit welchen Mitteln Deutschland und seine künftigen Regierungen welche Interessen wahrnehmen wollen. Und dann entsprechend die Verfassung zu ändern. Dann übrigens wird sich auch sehr schnell finden, dass militärische Mittel gar nicht so weit reichen, und schon gar, wenn doch der Passus erhalten bleibt, dass sich bei den Streitkräften „ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation aus dem Haushaltsplan ergeben müssen“.

Das kommende Wahljahr ist kein Hinderungsgrund für außenpolitische Grundsatzdebatten. Oder für die Formulierung von je eigenen Grundsätzen. Eher im Gegenteil, es bietet eine gute Gelegenheit, wo doch der SPD–Kanzlerkandidat zufällig Außenminister ist und sich die Kanzlerin bisher in der Rolle als vorausschauende Außenpolitikerin gefiel. Klarheit und Wahrheit sind nicht nur Anforderungen in Haushaltsfragen.

Ach ja: Was die Piratenjagd angeht – im Grundgesetz ist davon nicht die Rede. Nicht einmal, wenn man die Definition des Spannungsfalls nur unter dem sprachlichen Aspekt betrachtet.

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