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Der Wahlkampf in Berlin ist für die Piratenpartei vorbei. Nun kommt es darauf an, mit praktischer Arbeit zu überzeugen.

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Piratenpartei: Auf einer Woge der Euphorie

Die Piraten wirken befremdlich unbedarft und unfertig - das macht sie für viele attraktiv. Die größte Gefahr für die Piraten besteht deshalb auch nicht in der Entzauberung durch die parlamentarische Arbeit. Ein Gastkommentar.

Sie haben an ihrer Spitze keinen verwegenen Captain Jack Sparrow, und doch haben die Piraten die politische Bühne mit Aplomb geentert. Nach ihrem spektakulären Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus schwimmen sie auf einer Woge der Euphorie. In bundesweiten Umfragen werden sie neuerdings zweistellig notiert. Die etablierte Politik und die professionelle Politikberatung stehen vor einem Rätsel. Was sind die Gründe für den Erfolg dieser jungen Partei, die ihre Wurzeln in der neuen digitalen Welt und der Kultur des Internets hat? Vor allem: Können sich die Piraten dauerhaft in den Masten und Wanten des Staatsschiffes festsetzen?

Ähnlich wie die Grünen vor drei Jahrzehnten profitieren die Piraten heute davon, dass sie von den anderen Parteien entweder unterschätzt oder aber herablassend behandelt werden. Dabei sind die Piraten eine Herausforderung für alle anderen Parteien, denn sie ziehen von der gesamten Konkurrenz Wähler ab und mobilisieren zudem Nichtwähler. Die Konkurrenz unterliegt einem Irrtum, wenn sie den Erfolg der Piraten auf einen medialen Effekt reduziert. Natürlich verstärkt der mediale Hype deren Attraktivität, aber die Partei ist nicht von Medien gemacht.

Ihr Zuspruch stammt zum einen aus dem Milieu der jungen Kreativen und „digital natives“, für die das Internet nicht bloß ein neues Medium, sondern ein zentraler Bestandteil ihrer Lebens-, Arbeits- und Alltagskultur ist. Zum anderen wächst die Zustimmung bei denjenigen, die von den anderen Parteien enttäuscht sind und der politischen Klasse kein Vertrauen mehr entgegenbringen. Die verkürzte Redeweise von der Protestwahl verkennt dabei, dass diese Gruppe immer noch Interesse an politischen Prozessen aufbringt und an die Demokratie glaubt.

Für professionelle Beobachter der politischen Szenerie wirken die Piraten befremdlich unbedarft und unfertig. Aber genau das macht sie für viele Menschen sympathisch. Das zur Schau gestellte „Nicht-Wissen“ entbehrt nicht einer gewissen Koketterie, aber es entspricht einer realen Kultur in der Welt des Web 2.0. Das Diktum „Wissen ist Macht“ hat im Netz seine Gültigkeit verloren. Wissen ist dort nicht mehr das machtsichernde Privileg einiger weniger, sondern das Produkt aus der Zusammenarbeit vieler. Diese Kulturtechnik (Schwarm-Intelligenz) greifen die Piraten auf und entwickeln daraus ihr Konzept der „Liquid Democracy“ mit einer Mischung aus Instrumenten direkter Bürgerbeteiligung und parlamentarischen Verfahren. Das sichert den Piraten hohe Glaubwürdigkeit. Während alle anderen von Partizipation reden, wird sie von den Piraten praktiziert.

Foto: dpa
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© picture-alliance/ dpa

Ungeschickt haben die anderen Parteien die Wirkung der Piraten sogar verstärkt. Etwa wenn die Grünen, ganz im Sozialarbeiterjargon, meinten, die Newcomer „resozialisieren“ zu wollen. Daraus spricht nicht nur Verachtung gegenüber den Akteuren bei den Piraten und deren Politikstil, den viele als frisch und innovativ empfinden. Vor allem spricht daraus eine Verachtung gegenüber den Bürgern, die sich bewusst für die Piraten entschieden haben. Damit gewinnt man keine Wähler zurück, sondern verstärkt eine Jetzt-erst-recht-Haltung zugunsten der Piraten.

Kurz- und mittelfristig wird der Erfolg der Piraten anhalten. Sie sprechen Themen wie Internet, Mieten oder Personennahverkehr an, die im Alltag der Menschen bedeutsam sind. Sie repräsentieren das Bedürfnis nach einem anderen Stil in der Politik. Sie bieten vielen die Möglichkeit zur Identifikation. Zumal es durchaus chic ist, sich zu den Piraten zu bekennen.

Die größte Gefahr für die Piraten besteht nicht in einem möglichen Entzauberungseffekt in der parlamentarischen Arbeit. Die eigentliche Herausforderung besteht in der unverzichtbaren Professionalisierung der Partei, die bundesweit antreten will. Dazu braucht es Strukturen und Personen, mithin Entwicklungen und Entscheidungen, die dem Selbstverständnis der Partei tendenziell widersprechen. Als sozialliberale Kraft im besten Sinne haben die Piraten aber ohne Zweifel gute Chancen, eine (Markt-)Lücke im Parteiensystem zu schließen.

Der Autor ist Politikberater. Von Oktober 2002 bis Oktober 2009 war er stellvertretender Regierungssprecher.

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