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Piratenpartei: Von der Avantgarde zum Mainstream

Die Piraten haben die Etablierten düpiert. Aber sie sind keine reine Protestpartei, wie es Wowereit gerne hätte. Sie wollen lernen – das müssen sie jetzt auch.

Von Markus Hesselmann

Sie fühlten sich schon vor der Hafeneinfahrt sicher: Die Wahllokale waren noch nicht geschlossen, da lud die Piratenpartei bereits per E-Mail – „Ahoi sehr geehrte Damen und Herren“ – zur Pressekonferenz am Tag danach ein. Programmpunkt: „Einführung in die Arbeitsweise unserer Fraktion.“ Da wähnten sich die Piraten schon drin im Berliner Abgeordnetenhaus. Eine Frechheit, ein Wagnis, aber kein allzu großes, denn die starken Umfragewerte wurden durch die Ergebnisse nach Schließung der Wahllokale bestätigt.

Das Vorpreschen der politischen Freibeuter könnte ein Indiz dafür sein, dass sich die junge Partei, die fast genau vor fünf Jahren in Berlin gegründet wurde, auf die Arbeit nach der Wahl ein bisschen besser vorbereitet hat als auf die Debatten im Wahlkampf. Denn da wirkten die Kandidaten oft nicht themensicher. Der große Vorteil dieses neuen, entwaffnend naiven Politikertyps scheint ohnehin die Lernfähigkeit zu sein: Man steht zu seinen Erfahrungs- und Wissenslücken und glaubt daran, sie mit Hilfe der versammelten Intelligenz seiner Internetcommunity überwinden und gemeinsam an Lösungen arbeiten zu können.

Dass dieses Programm Erfolg hat, deutet darauf hin, dass ein bis vor kurzem noch avantgardistisches, digital befeuertes Lebensgefühl in den Mainstream einmündet. Die Piratenwähler kommen von allen Parteien und aus allen Lagern herüber – jeder zehnte laut Wählerwanderungsanalysen sogar von der CDU.

Die anderen können von den Piraten lernen, dass das Internet mehr ist als ein weiteres Medium: eine umfassende Kraft, die Gesellschaft und Alltag verändert, die aber von Menschen, die damit umgehen können, beherrschbar und produktiv einsetzbar ist.

Es war ein Fehler der Etablierten, diese neue Partei im Wahlkampf so lange zu unterschätzen. Und als sich dann die Erfolgsprognosen zum Wahltermin hin verdichteten, haben die Kandidaten der anderen Parteien noch einmal falsch reagiert. Durch Einlassungen von gewollter Ignoranz (Frank Henkel) über verunglückte Veralberung (Renate Künast) bis zu staatstragender Warnung (Klaus Wowereit) haben CDU, Grüne und SPD den Piraten noch mehr Wind in die Segel geblasen. Denn nichts dürfte deren junge, sich als subversiv, aber nicht fundamental-oppositionell empfindende Zielgruppe mehr ärgern, als ignoriert, nicht ernstgenommen oder an den Pranger gestellt zu werden. Ihre Antwort lautete: Jetzt erst recht.

Der Regierende Bürgermeister stempelte die Piraten zur reinen Protestpartei ab. Wenn doch nur alle Protestparteien so wären wie sie! Mit ihnen kommt keine populistische oder ideologisch verbohrte Truppe, die gegen alles ist, ins Abgeordnetenhaus. Diese junge Community will zuschauen und mitbauen, das ist jedenfalls der Eindruck zur Zeit.

Diesen Eindruck muss die Partei jetzt durch kreative, konstruktive Arbeit im Berliner Parlament bestätigen. In den Mühen der Ebene, die sie ab Montag beschreiten, dürfen sich auch Piraten nicht mehr allzu sicher fühlen.

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