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Schööön vorsichtig. Wer beim Böllern behutsam vorgeht, gefährdet weder sich noch andere.

© dpa

Plädoyer für das Böllern: Dann hab' ich eben einen Knall!

Krach, verstümmelte Hände und der Siff danach: Es gibt viele Gründe, gegen die Böllerei zum Jahreswechsel zu sein. Unsere Autorin kennt sie alle – und liebt doch das Spiel mit Feuerwerkskörpern. Hier ist ihre Rechtfertigung.

Vor drei Wochen hat ein 26-Jähriger in Reinickendorf einen sogenannten „Polenböller“ gezündet. Unglücklicherweise explodierte der Böller in der Hand des jungen Mannes und riss Daumen und Zeigefinger ab. Unter die Meldung, die zu diesem Vorfall auf der Tagesspiegel-Webseite zu finden ist, schrieb ein Leser: „Schön, dass manche sich selbst bestrafen.“ Auch aus anderen der insgesamt 52 Kommentare sprach nur wenig Mitleid mit dem Verletzten. Vielmehr fielen den Usern anlässlich des Unglücks andere schrecklich Böllergeschichten ein. Ein Leser schrieb etwa, dass er vor ein paar Jahren einen Hörsturz erlitt, als neben ihm ein Böller explodierte. Ein anderer hatte miterlebt, wie ein Fahrer mit seinem Wagen in vier parkende Autos fuhr, nachdem neben ihm ein Feuerwerkskörper explodiert war. Nach der Lektüre hatte ich den Eindruck: Menschen, die an Silvester Kracher und Raketen zünden, sind eine Gefährdung der Allgemeinheit.

Dann fand ich unter den 52 Kommentaren diesen: „Ich frage mich immer wieder, was für ein stinklangweiliges Volk wir doch geworden sind. Nicht mal Neujahr darf man feiern, ohne den Zorn der Ökomoralpolizei auf sich zu ziehen.“ Ich muss zugeben: Dieser Kommentar gefiel mir am besten. Und ich muss noch mehr sagen: Feuerwerke und der Lärm von Böllern gehören für mich an Silvester dazu, und ich liebe es, Raketen und Kracher selbst zu zünden.

Mittlerweile habe ich weitere Meldungen und die Kommentare darunter gelesen. Ich weiß, dass am vergangenen Silvester allein in Berlin fünf Menschen Finger verloren, weil Böller in der Hand anstatt auf der Straße explodierten; dass ein Mann seit der Neujahrsnacht 2012 gar keine Hand mehr hat – und dass einige das erstaunlich kalt lässt. Und ich habe das dringende Bedürfnis, mich wegen meiner Liebe zu Feuerwerkskörpern zu rechtfertigen.

Dem geltenden Recht ist nichts hinzuzufügen.

Zuerst: Lärm an Silvester hat eine lange Tradition in vielen Ländern, auch bei uns. Laute Geräusche sollten die bösen Geister vertreiben und einen reinen Start ins neue Jahr garantieren. Im fünften Jahrhundert schüttelten unsere Vorfahren an Silvester Rasseln und schlugen mit Löffeln auf Töpfe. Im zehnten Jahrhundert machte dann auch die Kirche mit: Sie ließ die Glocken zum Jahreswechsel länger läuten als normal. Noch später feuerten auf Befehl des Königs Soldaten Kanonen, Jäger schossen mit Gewehren in die Luft, Musiker malträtierten ihre Pauken und Trompeten. Das Verlangen, Böller zu zünden, ist uns sozusagen in die Wiege gelegt. Aber natürlich ist Tradition kein gutes Argument für meine Sache. Schließlich beruhen in vielen Kulturen viele schreckliche Riten auf Tradition.

Ich finde auch nicht, dass jeder Mensch die Freiheit besitzen sollte, jede Art von Feuerwerkskörper zu zünden, wann und wo er will, weil Freiheit über allem steht. Würde ich so argumentieren, würde ich der perfiden Logik der Waffenlobbyisten in den USA folgen. Mein Argument ist, dass in Deutschland bereits ein guter Kompromiss gefunden ist. Bei uns gibt es ein Gesetz, dass den Umgang mit Sprengkörpern reglementiert. Dort heißt es: „An Silvester und Neujahr ist es in Deutschland Personen ab 18 Jahren erlaubt, Feuerwerkskörper der Klasse II abzubrennen.“ Und weiter: „Die zuständige Behörde kann die Verwendung allerdings weiter einschränken.“ Feuerwerkskörper der Klasse I darf man übrigens das ganze Jahr lang abfeuern. Der junge Mann aus Reinickendorf hat einen Polenböller gezündet. Der gehört nicht zur Klasse II und auch nicht zur Klasse I, sondern ist in Deutschland verboten. Ich finde, dem Gesetz ist nichts hinzuzufügen.

Als Fürsprecherin der Pyrophilen appelliere ich deshalb an die Toleranz der Pyrophoben. Man kann akzeptieren, dass es Menschen gibt, die eine – vielleicht ein bisschen archaische – Liebe zu Böllern und Raketen haben und diese an Silvester ausleben. Wem das alles zu viel ist, der muss die einschlägigen Plätze und Straßen in der Neujahrsnacht eben meiden. Jedenfalls könnte es sich lohnen, an Silvester und an den Tagen davor weniger empfindlich zu sein: Der Böllerfreund, der seine Leidenschaft zum Jahreswechsel richtig auslebt, gibt das übrige Jahr, so ist es gedacht, eher Ruhe.

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