zum Hauptinhalt
Gegen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) werden Plagiatsvorwürfe erhoben.

© dpa

Plagiatsvorwürfe gegen Norbert Lammert: Rücktritt als Ausweg in die Anständigkeit

Erst Guttenberg, dann Schavan, nun Lammert? Immer wieder müssen sich Politiker wegen Plagiatsvorwürfen rechtfertigen. Stellt sich jedoch heraus, dass diese Doktoren tatsächlich gedopt haben, bleibt nur noch der Ausweg rückwärts.

Auch Du, Bruder Norbert? Hat Bundestagspräsident Lammert bei seiner Dissertation gefehlt? Sind nicht alle Worte und Sätze, nicht alle Gedanken und Erkenntnisse durch seinen Geist entstanden, sondern andernorts entliehen worden – ohne Kenntlichmachung des Leihgebers? Der CDU-Politiker hat die Universität Bochum um die Überprüfung seiner Arbeit gebeten.

Der Anfangsverdacht ist nun da, Lammert gehört erstem Anschein nach in die Reihe der Guttenbergs, Koch-Mehrins und Schavans. Menschen, die sich in der Öffentlichkeit als honorige Politiker ausgegeben haben und tatsächlich schon in ihrer universitären Jugend Plagiatoren waren. Einmal erwischt, kann es für diese Täuscher nur einen Ausweg rückwärts in die Anständigkeit geben – Abgang!

Der Doktortitel ist überhöht. Er ist im besten Noten-Fall Ergebnis einer solitären akademischen Leistung. Er ist kein Charaktertest. Dr. med. macht aus dem Arzt keinen besseren Menschen, hoffentlich macht er den Mediziner zu einem besseren Diagnostiker.

Doch irgendwann hat es der Doktorenstand geschafft, den Nicht- Doktoren einzureden, dass der Herr Doktor und die Frau Doktorin etwas Besseres sind. Feingeister, Feinzüngler, feine Menschen halt. Politiker und Doktor, diese Kombination galt bald als unschlagbar. Deswegen diese tiefe Sehnsucht in den Reihen der Konservativen und der Liberalen nach dem „Dr.“ auf dem Wahlplakat.

Der Wunsch der Nobilitierung seiner eigenen Bürgerlichkeit brachte und bringt es mit sich, dass in keiner zweiten Parteienkaste so gern promoviert wird. Und, so will es scheinen, auch plagiiert wird. Als Konsequenz gibt es eine gesamtgesellschaftlich neue Betrachtungsweise. Der Doktor wird verhandelt auf der Ebene des Dopers. Beide, der Akademiker und der Sportler, haben sich Leistungsvorteile erschlichen, nebenbei ungeheuer viel Ruhm und noch mehr Geld eingestrichen.

Kaum fliegt der Betrug auf, fühlt sich jeder aufs Grausamste betrogen. Jetzt werden die Helden ausgetauscht: Fortan gelten die Plagiats- und Dopingjäger als Brahmanen der Gesellschaft, als Wahrheitssucher, Aufrechte. In der mitlaufenden Simplifizierung und Boulevardisierung der akademischen Doktor-Spiele werden neue Bewertungsmuster entwickelt. Ein Doktor steht nun unter dem Generalverdacht des Plagiators. Ist auch einfacher so: Kaum einer versteht, was da erforscht wird. So komplex eine Dissertation ist, so kompliziert ist ihre Begutachtung. Ihr Wert ist weit mehr als die Summe der gekennzeichneten Zitate.

Und eine politische Lebensleistung, wenn sie denn eine ist, ragt über den Unterschleif hinaus. Ein differenziertes Urteil erfordert, dass differenziert geurteilt wird. Sicher, ein Unding in einer Stimmungslandschaft, die zum Zwecke ihrer Beruhigung, ihrer Vergesslichkeit und ihrer Geilheit nach Opfern den Daumen hebt oder senkt.

Arm dran sind die, die gerade promovieren. Schreckensgeschichten dringen aus den Einzelzellen. Über jeden Satz, jede Seite laufen die Suchmaschinen, ob auch alles, was erforscht und gedacht und geschrieben wird, nicht einem anderen „Kopf“ zugeordnet werden kann. Wer promoviert, lügt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false