zum Hauptinhalt

Polemik: Politische Abstinenz

Eine Replik auf Guido Westerwelle – dicht an seinem Originaltext.

Westerwelles Beitrag

zur Diskussion um die Hartz-IV-Sätze trägt neoliberale Züge. Er debattiert die Frage: Wie behalten die Reichen mehr. "Umverteilung von Unten nach Oben" nennt man diese Klientelpolitik. Dabei sind es Leistungen, die dem Staat, also der Gemeinschaft zustehen. Wie ein Angstbeißer schnappt er um sich, um nur ja niemanden ein Stück vom Kuchen abzugeben.

Es scheint, als ob es in der FDP nur noch Lobbyisten gibt, aber niemanden, der seine Regierungsverantwortung wahrnimmt. Das Gemeinwohl findet kaum Beachtung.

Die Staatsquote lag 2008 bei rund 43 Prozent, und damit unter EU-Durchschnitt. Sie wird nun deutlich steigen, aber nicht durch die Sozialausgaben, sondern durch die hohen Ausgaben für die Rettungspakete für Banken und Unternehmen.

Und in der Tat, die Leidtragenden sind vor allem die Millionen Beschäftigten. Denn bei den Löhnen tut sich im Gegenzug nichts. Im Gegenteil: Höhere Belastungen durch die Privatisierung von Grundversorgung, Altersvorsorge und Gesundheitsleitungen vergrößern die Kluft zwischen Arm und Reich. Und so eine Gesellschaft fliegt der Politik zu Recht um die Ohren.

Die kriminellen Steuerhinterziehungen mit Hilfe von Ländern wie der Schweiz erregen die ganze Republik, nur nicht die FDP. Arbeit, die so schlecht entlohnt wird, dass es zum Leben nicht reicht, sorgt ebenfalls für Missmut. Aber was sagt eigentlich die FDP zu Mindestlöhnen, wie sie in vielen europäischen Ländern selbstverständlich sind? Ihre Leichtfertigkeit im Umgang mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt besorgt mich zutiefst. Die Missachtung alles Sozialen hat System, und sie ist brandgefährlich. Wer den Reichen spätrömische Dekadenz ermöglicht, treibt die Armen in die politische Abstinenz.

An einem solchen Handeln kann die FDP scheitern. In vielen hochentwickelten Gesellschaften werden die Schwachen mitgenommen, damit ihre Kinder es einmal besser haben. Sie jedoch propagiert Privat- und Eliteschulen und damit die soziale Selektion. Dabei sollte doch gerade die Jugend ein gesellschaftliches Miteinander erlernen.

Zu lange wurde in Deutschland die Umverteilung von Unten nach Oben optimiert und darüber nicht nur vergessen, dass nicht kaufen kann, wer nichts in der Tasche hat. Gerechtigkeit ist mehr als wirtschaftliche Freiheit – sie bezeichnet den idealen Zustand des sozialen Miteinanders, inklusive einer angemessenen Verteilung von Gütern und Chancen. Soziale Gerechtigkeit muss wieder in den Mittelpunkt der Politik rücken. Aber allein mit dem Motto "Mehr Netto vom Brutto" schafft man keine soziale Gerechtigkeit. Dazu braucht es eine handlungsfähige öffentliche Hand.

Dieses Umdenken wäre für die FDP tatsächlich eine geistig-politische Wende, die nach der jüngsten Diskussion für sie nötiger wäre denn je.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false