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Politik als Berufung: Unsere genügsamen Politiker

Angela Merkel ist Kanzlerin einer Koalition, die von egomanischen Fliehkräften beherrscht ist, während die Welt ihrer Bürger aus den Fugen gerät. Sie will das Primat der Politik zurückerobern. Weshalb ist es verloren gegangen? Politiker sind genügsam geworden, ihnen fehlt Leidenschaft.

Politik ist nicht mein Leben, hat Roland Koch bei seinem Rücktritt gesagt. Das hören wir gern. Regierungsämter und die unvermeidlichen Machtkämpfe dürfen niemanden total formen. Kochs Satz gefällt aber auch, weil die abschätzige Betrachtung von Politik quer durch alle Bevölkerungsgruppen zur Gewohnheit geworden ist. Die besten Politiker sind solche, die es nicht mehr sind oder sein wollen. Verständlich, weil wir bis zum Überdruss Sesselkleber und zynische Machtmenschen erleben, die am Ende ihre politische Kunst nur noch für sich selbst einsetzen.

Die Darbietungen der menschlichen Seiten unserer Politiker nehmen verdächtig genau in dem Maße zu, wie deren Bereitschaft abnimmt, Politik im echten Sinne zu ihrem Leben zu machen, zu einer Berufung, die von einem starken Gemeinwohl-Anliegen getrieben ist. Nur der hat den „Beruf“ zur Politik, der ihren diabolischen Widersprüchen ins Auge blicken und sie aushalten kann, der nach dem Unmöglichen greift, um vielleicht das gerade Mögliche durchzusetzen, der sogar dem Scheitern aller Hoffnung sein „dennoch“ entgegensetzen kann. So Max Weber 1919 in seinem berühmten Vortrag.

Angesichts des realen politischen Führungspersonals grenzt es an Quijoterie, dieses Idealbild zu beschwören; angesichts der großen Fragen unserer Zeit müsste es täglich geschehen. Über Jahrzehnte haben Politiker, ihre Beobachter und die Bürger sich angewöhnt, das „Unmögliche“ als Ideologie abzuschreiben und den Pragmatismus zur Tugend zu verklären. In dieser Haltung spiegeln sich das große Ereignis und der Trend unserer Zeit, der Untergang des Sozialismus und die Individualisierung, die im Utopie- und Gemeinschaftsverlust ihre Kehrseite haben.

Die Enkel Willy Brandts haben die Solidarität, die ihren Vorgängern noch von den Verhältnissen eingebläut wurde, nicht mehr lernen können. Die Selbstverwirklicher Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine und ihre Nachfolger haben dafür büßen müssen, dass sie Konkurrenzkämpfe vor ihre Verantwortung gestellt haben, Solidarität und Gerechtigkeit in ihrer Zeit neu zu buchstabieren. Mehr aber noch bezahlen dafür die „kleinen Leute“, die in dieser Partei ihren Anwalt sehen, und sich heute in einer Gesellschaft mit neuer Ungleichheit vorfinden, die viele Menschen ganz ausschließt.

Die aktuelle Führungsgeneration der CDU ist auf dem besten Weg, ihre Verantwortung genauso zu verfehlen. Es ist eine klägliche Bilanz, wenn einer nach dem anderen aus der CDU-Spitze die Verantwortung für Politik aufgibt, weil eine Frau ihren Weg blockiert. Die wiederum lässt ihr „Unmögliches“ im Dunkeln. Sie ist Kanzlerin einer Koalition, die von egomanischen Fliehkräften beherrscht ist, während die Welt ihrer Bürger aus den Fugen gerät.

Das Primat der Politik will Angela Merkel zurückerobern. Weshalb ist es denn verloren gegangen? Heute ist zu besichtigen, wie pragmatisch beschränkte Politik zur Tarnkappe ideologischer Glaubenssätze werden kann. Denn bloße Ideologie war ja die Theorie von den gänzlich freien Märkten. Die Politik hat wegen einer Genügsamkeit verloren, die schon deshalb das Mögliche nicht erreichen kann, weil ihr die leidenschaftlichen Politiker fehlen. Die weder das Empfinden für die Ungerechtigkeit der Welt verloren haben noch den Glauben daran, dass man sie überwinden kann – oder es doch immerhin versuchen wollen.

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