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Politik und Finanzchaos: Merkel in der Krise

Auch wenn alle Welt nach wilden Taten ruft, bleibt Angela Merkel abwartend. Sie fährt in der Krise "auf Sicht", doch man sieht ja nichts! Klar ist nur, dass ihr kühles Aussitzen nicht genug ist in einem Moment der großen Verunsicherung. Für die Bundesbürger schreit zum Himmel, dass die soziale Marktwirtschaft versagt hat. Darüber muss eine Regierungschefin reden.

Als kalkuliert und machtorientiert hat sich die Bundeskanzlerin erwiesen, als ziemlich cool, wenn es darum geht, Konkurrenten und Konstellationen abwartend zu beherrschen und durch den kleinen Schritt im richtigen Moment. Deshalb schafft es Angela Merkel, in der Krise „auf Sicht“ zu fahren, auch wenn alle Welt nach wilden Taten ruft. Doch sie mag Situationen nicht, in denen die unbekannten Größen dominieren. Auf Sicht? Man sieht ja nichts! Die Finanzkrise, ihre Ursachen und Folgen liegen immer noch in einem Nebel, der viel Unbekanntes verhüllt. Klar zutage tritt nur: Kühles Aussitzen, selbst ein perfektes Krisenmanagement, das ist nicht genug für den Moment der großen Verunsicherung.

Dieser Moment nämlich enthüllt die notorisch gewordenen Schwächen des politischen Führungpersonals, ja, die Schwächen der Demokratie überhaupt. Viele Politiker, und Angela Merkel ist unter diesen die ungekrönte Königin, haben sich angewöhnt, das Gespräch über die öffentlichen Angelegenheiten überwiegend untereinander und mit den Eliten zu führen, auf die ihre Macht besonders angewiesen scheint, mit Wirtschaftsverbänden, Demoskopen, Medienleuten. Ein taktischer Diskurs, darauf angelegt, über den nächsten Parteitag zu kommen oder einen Führungskonflikt oder die anstehende Wahl.

Da wird, Beispiel SPD, die Grundfrage nach der Wehrpflicht in einem Parteitagskompromiss versteckt, den niemand versteht. Oder man inszeniert, Beispiel Union, einen Gipfel mit schönen Bildern, wenn der Unmut von Eltern, Lehrern, Schülern über die Bildungsmisere endlich einmal auf Wahlergebnisse durchschlägt. Statt einer Lösung des Problems, die ohne Streit und Ungewissheiten nicht zu haben ist, wird ein fader Ersatzstoff geboten. Der Bürger merkt die Absicht – man will ihn nur als Wähler – und verstummt.

Angela Merkel hat früh in ihrer Kanzlerschaft gezeigt, dass sie wenig Sinn für die Grenzen eines Umgangs mit Politik hat, der vor allem auf das Funktionieren des politischen Getriebes zielt. Als Jürgen Rüttgers das Arbeitslosengeld für Ältere verlängern wollte, hat er eine Schmerzstelle getroffen, die Schröders Reformen hinterlassen hat. Merkel hat daraus einen Parteitagsdeal gemacht, ihre Stellvertreter Koch und Wulff dabei geschwächt und dem Koalitionspartner SPD den Schwarzen Peter zugeschoben. Die Kontrolle über das Problem hat sie jedoch verloren. Das Wann und Wie lagen im Nebel, doch sicher war es wie das Amen in der Kirche, dass die SPD nachziehen würde. Denn Rüttgers hatte ein Thema aufgerührt, bei dem im Volk Herzblut fließt und die sozialdemokratische sich von der christlichen Volkspartei nicht übertrumpfen lassen kann.

Herzblut, Ängste, Ungewissheiten beschwört erst recht und zu Recht diese Krise. Und spürt man es nicht? Die Politiker, die ein offenes Wort mit der Bevölkerung schon nicht finden, wenn es um Schulen oder Gesundheitskosten geht, haben Angst vor diesen Ängsten. Nicht, weil sie zu Panik führen könnten, sondern weil der Umgang mit Ungewissheiten, die jedes ungelöste Problem unweigerlich begleiten, verlernt und einer abgehobenen Routine des politischen Betriebs gewichen ist.

Die Späteinsteigerin Angela Merkel hat eigentlich nichts anderes gelernt. Ihre Lehrzeit fand in der Führung der Union statt, neben dem späten Helmut Kohl, der die Klaviatur der Machtsicherung perfekt beherrschte. Sie reizt ihr Verhandlungstalent und ihr internationales Renommee aus. Sie sagt wacker das Wort „Enteignung“ in die Kameras, das bei ihren Parteifreunden schrillen Schmerz auslöst. Aber bloßer Pragmatismus kann nicht funktionieren, wo sechs Jahrzehnte kräftig Ideologie betrieben wurde. Sie hat ihrer Partei und der Bevölkerung über das Krisenmanagement hinaus nur einen Begriff zu bieten, den der sozialen Marktwirtschaft. Dabei schreit für die Bundesbürger zum Himmel, dass die doch versagt und ein entfesselter Markt der Politik das Heft aus der Hand genommen hat. Wozu dann eigentlich die Demokratie? Darüber muss die Regierungschefin sprechen, reden, diskutieren.

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