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Politik und Spekulation: Der Kampf beginnt

Neuer Finanzkapitalismus oder Primat der Politik? Die Kanzlerin wählt erst den schwarz-gelben Scheinfrieden und verschärft dann den Ton - wann nimmt sie den Kampf auf?

Genau genommen müsste man sie allesamt aus den Ämtern treiben, die Politiker, die in den anderthalb Jahren nach der Finanzkrise nichts Wirksames getan haben, um die „Monster“ so zu zähmen, dass die Staaten nicht erneut in ihre Geiselhaft geraten. Wieder einmal musste die Bundeskanzlerin mit der scheußlichen Begründung antreten, ihre Griechenland-Hilfe sei „alternativlos“. Demokratie ohne Alternative ist aber gar keine; sie zeigt in Wahrheit gewählte Politiker in der Zwangsjacke, in die unlegitimierte Finanzakteure ganze Staaten stecken können.

Es gibt sie aber doch, die bessere und die schlechtere Alternative, sogar in dieser Notlage. Das hat diese Woche die Debatte im Bundestag gezeigt. Die SPD hätte sicher lieber mit Ja gestimmt. Es ist vor allem dem Hochmut der FDP zu verdanken, dass die Sozialdemokraten nun das Spiel nicht mehr mitspielen, das sie lange selbst betrieben haben. Man muss Griechenland jetzt helfen, aber das kann man so oder so. Die SPD hat ihre Zustimmungen an Forderungen geknüpft, die nicht sensationell, sondern überfällig sind, um die Finanzmärkte zu regulieren, und die zudem für die Unionsparteien weitgehend akzeptabel sind. Doch die FDP hat, sollte der Begriff Steuer in der Resolution überhaupt vorkommen, mit Koalitionsbruch gedroht. Und die Kanzlerin hat auf der Stelle nachgegeben, ganz auf der Linie ihrer Prioritätensetzung, die den schwarz-gelben Scheinfrieden höher setzt als den ernsthaften Kampf um die Macht zwischen Politik und Geld.

Merkel hatte Grund zu der Annahme, dass die SPD mit ganz kleinen Zugeständnissen trotzdem zu kriegen sein könnte. Denn die frappierende Tatsache, dass trotz der Großkatastrophe im September 2008 die Spekulanten ungeschoren weitermachen konnten, ist nur damit zu erklären, dass sich in Deutschland (wie in der gesamten demokratischen Welt) der neue Finanzkapitalismus mit Rückendeckung aller großen politischen Parteien und Strömungen entfalten konnte. Thatcher und Reagan haben die Deregulierung angetrieben, Blair und Schröder haben sie mitgemacht. Dem Paradigma von der Freiheit der Märkte haben überall nur politische Kräfte widersprochen, die man als Spießer und Betonköpfe (Gewerkschaften), als Schmuddelkinder und Traditionssozis (PDS/Linkspartei), als jugendliche Spinner (Attac) an den Rand schieben konnte, ohne ihre Argumente anzuhören. Thatchers Credo hieß Tina; ihr berühmter Satz „There is no alternative“ hat als ideologischer Treibsatz der allgemeinen Verblendung gedient. Die suggestive Botschaft hat die Demokratien bis jetzt in ihren Bann geschlagen: Wer die neue Freiheit der Märkte nicht mitmacht, ist eben von gestern.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende FrankWalter Steinmeier gehört zu den Mitverantwortlichen für die Finanzmarktderegulierung der rot-grünen Jahre. Umso bemerkenswerter, wenn er einen deutlich neuen, einen kämpferischen Ton anschlägt. Seine Rede am vergangenen Mittwoch war ein großer Schritt aus der selbstverantworteten Befangenheit der SPD. Sie ist offenbar bereit, dem Finanzkapital nun doch den Kampf um das „Primat der Politik“ anzusagen. Wie viel Läuterung und Einsicht darin steckt, ist zweitrangig. Auch in diesem Fall hat sich der Blick in den Abgrund als stärkster politischer Antrieb erwiesen. Die SPD hat sich als Volkspartei nahezu ruiniert. Denn das Volk sieht an seinen Politikern, dass die Staatsgewalt von anonymen Märkten ausgeht, nicht von ihm selbst – und wendet sich ab. Und die SPD hat mit massenhafter Abwanderung ihrer Wähler bezahlt.

Diese Woche hat die politischen Voraussetzungen für eine ernsthafte Regulierung der Finanzmärkte verändert. Mitgefangen, mitgehangen – der Mechanismus funktioniert nicht mehr. Merkel kann sich nicht mehr auf eine SPD verlasen, die zahm bleibt, weil sie sich in der Vergangenheit kompromittiert hat. Der Ton der Kanzlerin hat sich prompt verschärft. Spekulanten seien ihre Gegner. Ob sie den Kampf der Politik mit den Märkten tatsächlich aufnimmt, wird davon abhängen, in welchen Abgrund die CDU-Vorsitzende Merkel schauen muss, wenn am Sonntag in Nordrhein-Westfalen die Wahllokale schließen.

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