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Meinung: Politikkontrolle hat nicht das erste Recht

Von Christoph von Marschall So viele Hoffnungen richten sich auf die Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes: Nach der Änderung werde man die Akten endlich zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte und des Umgang der Bundesregierung mit der DDR nutzen können; dann werde auch Schluss sein mit der Ungleichbehandlung von Politikern aus Ost und West. So argumentieren Befürworter der Änderung – als eigneten sich ausgerechnet diese Akten zur quasi basisdemokratischen Kontrolle von Regierungshandeln.

Von Christoph von Marschall

So viele Hoffnungen richten sich auf die Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes: Nach der Änderung werde man die Akten endlich zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte und des Umgang der Bundesregierung mit der DDR nutzen können; dann werde auch Schluss sein mit der Ungleichbehandlung von Politikern aus Ost und West. So argumentieren Befürworter der Änderung – als eigneten sich ausgerechnet diese Akten zur quasi basisdemokratischen Kontrolle von Regierungshandeln. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass diese Hoffnungen enttäuscht werden – wie man auch kein Prophet sein musste, um vorauszusehen, dass Helmut Kohl mit der Klage gegen die Veröffentlichung seiner Akten Recht bekommen würde (und nach der Änderung weiter Recht bekommen wird).

Juristen scherzen gerne: Ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung. Der Zweck des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ist in Paragraph 1 eng gefasst: 1. allen Personen den Zugang zu „ihren“ Akten zu ermöglichen; 2. den Einzelnen davor zu schützen, dass durch den Umgang mit den Akten seine Persönlichkeitsrechte nochmals verletzt werden; 3. die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes zu fördern; 4. öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen Informationen zur Verfügung zu stellen, soweit die im Gesetz genannten Zwecke dies erfordern.

Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte oder der Bonner Politik gehört nicht zu den Gesetzeszielen, nur die Aufklärung über die Stasi. Das Recht Bespitzelter, selbst zu entscheiden, was mit ihren Akten geschieht und was nicht (zum Beispiel eine Veröffentlichung) hat Vorrang. Das gilt freilich nur für Opfer; Täter müssen es sich gefallen lassen, dass personenbezogene Daten über ihre Stasi-Tätigkeit mitgeteilt werden.

Wäre es anders – und das wird in der Debatte um die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes meist unterschlagen –, gerieten Gesetz und Praxis in Widerspruch zu den Prinzipien des Umgangs mit Bundesakten nach dem Bundesarchivgesetz. In der Regel gilt eine Sperre von 30 Jahren, bei besonders sensiblen Informationen aus dem Persönlichkeits- oder dem Geheimhaltungsbereich sogar bis zu 80 Jahren. Ausnahmen sind möglich, aber nur wenn die Betroffenen zustimmen. Beim Stasi-Unterlagengesetz hat man eine Ausnahme zu eng gefassten Zwecken gemacht – um, wie es der erste Amtsleiter Joachim Gauck früher formulierte, den Opfern das Selbstbestimmungsrecht über die illegal über sie gesammelten Daten zurückzugeben. Eine Ausweitung auf allgemeine Geschichtsaufarbeitung oder gar die Klärung von Parteispendenaffären ist eine Abkehr von der ursprünglichen Absicht.

Und welch ein Widerspruch: Wenn man heute DDR- oder westdeutsche Geschichte aus illegal gesammelten und in vieler Hinsicht verfälschenden Darstellungen politischer Vorgänge in den Stasi-Akten schreiben dürfte, während die vergleichsweise objektiveren offiziellen Akten gesperrt sind und ebenso illegal abgehörte Telefongespräche.

Wer die Zeitsperre kippen möchte, sollte nicht die Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes fordern, sondern die des Bundesarchivgesetzes – und gute Argumente gegen die international übliche Praxis sammeln. Streitfälle entscheiden abermals die Gerichte: im Sinne des Gesetzes und damit im Zweifel gegen die überzogenen Erwartungen.

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