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Politische Beben: In Brandenburg sind noch viele Rechnungen offen

Nirgendwo ist die politische Klasse so gemischt mit Vertretern alter DDR-Seilschaften und geschäftstüchtigen Nachwende-Cliquen wie in Brandenburg. Die Vorwürfe haben eine Qualität erreicht, die zunehmend die politischen Verhältnisse in Potsdam infrage stellt.

Da kommt etwas ins Rutschen, bei dem das Ende noch nicht sichtbar ist. Fing es an mit dem Rücktritt von Rainer Speer, dem starken Innenminister und Strippenzieher in Brandenburg? Oder schon früher, beim Diebstahl seines Laptops mit Insiderwissen? Nun sitzt Axel Hilpert in Haft, Ex-Stasi-Mann und Hotelchef. Immer neue Enthüllungen, Skandale und Filzvorwürfe – seit einem Jahr kommt die politische Landschaft in Brandenburg nicht zur Ruhe. Was sich abspielt rund um die Landeshauptstadt Potsdam, die eine strahlende Erfolgsgeschichte in Sachen bürgerlicher Gediegenheit und baulicher Renaissance ist, rückt das ganze Land ins schlechte Licht. Übrigens das Land, mit dem Berlin immer noch fusionieren möchte.

Nirgendwo ist die politische Klasse so gemischt mit Vertretern alter DDR-Seilschaften, cleveren Ex-Bürgerrechtlern und geschäftstüchtigen Nachwende-Cliquen; eine Melange aus neuem Filz und alten Connections. Der besondere Brandenburger Weg, den Ministerpräsident Manfred Stolpe immer betonte, der alle Gruppen einband und zugleich band, hat zu jener spezifischen Ausprägung von Macht beigetragen, bei der mancher meinte, das Land sei so etwas wie ein Selbstbedienungsladen. Die Vielzahl der Vorwürfe hat eine Qualität erreicht, die zunehmend die politischen Verhältnisse in Potsdam infrage stellt. Die Frage der Verantwortung rückt zugleich immer näher heran an den seltsam reaktionslosen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck.

Anfällig geworden sind nicht nur Funktionäre der seit 1990 dauerregierenden Sozialdemokraten. Auch die CDU, acht Jahre lang Regierungspartner, hat sich zu tief verstrickt, um nun in der Opposition unbelastet Aufklärer zu sein. Ihre Minister gerieten mit Darlehen und Baugenehmigungen ins Zwielicht und die CDU hat hingenommen, dass es keine Stasi-Beauftragte gab und belastete Richter und Polizisten im Dienst blieben. Und woher sollte bei der Linkspartei, deren verheimlichte Stasi-Karrieren die rot-rote Koalition zum Start übel ins Schleudern brachte, der Aufklärungswille kommen?

In Brandenburg sind so viele Rechnungen offen, so viele Gefallen warten noch auf Erwiderung, dass es nicht so bald aufhören wird mit den kleinen Beben. Die Machtfülle des kürzlich zurückgetretenen Stadtwerke-Chefs, dieses Potsdamer Wohltäters mit Geld aus öffentlichen Kassen, paart sich mit dem bürokratischen Unvermögen einer Stadtverwaltung, die schon Quizmaster und Mäzen Günther Jauch verzweifeln ließ. Das jahrelange Trauerspiel um den Uferweg am Griebnitzsee ist ein Lehrbeispiel für bürokratische Willkür und Selbstherrlichkeit. Oberbürgermeister Jann Jakobs hat bei all dem eine eher schlechte Figur gemacht.

Das hell glänzende Potsdam, Heimstatt engagierter Bürger und nobler Spender, offenbart sich als fruchtbares Biotop für Grenzüberschreitungen der dunklen Art. Fast scheint es, als wiederholte sich Geschichte. Über den undurchsichtigen Unterbau der Macht ist vor zehn Jahren schon ein Oberbürgermeister gestolpert. Damals musste Hoffnungsträger Matthias Platzeck ran, um die Stadt wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Der SPD-Ministerpräsident, der sich immer auf Rainer Speer, den Mann fürs Grobe, verlassen hat, muss nun deutlich machen, dass ihn dieses Geflecht nicht einengt oder bindet. Sonst könnte er bei dem, was da noch ins Rutschen kommt, selbst ins Straucheln geraten.

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