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Politische Krise in der Schweiz: Schluss mit den Schrullen

Die Schweiz bebt. Dieses ruhige und malerische Land, dessen Bewohner so zurückhaltend, ausgeglichen, leise und moderat sind, ist in seinen Grundfesten erschüttert. Zum ersten Mal hat das Parlament mit Christoph Blocher einen amtierenden Minister abgewählt.

Von Andreas Oswald

Das ist ein eklatanter Bruch mit der langen Tradition der sogenannten Konkordanz, die seit 1959 ehernes Prinzip des politischen Systems ist. Danach wählt das Parlament grundsätzlich Minister aus allen großen Parteien in die Regierung, die Abgeordneten wählen dabei auch immer den politischen Gegner mit. Das ist in der westlichen Welt ein Unikum, man könnte es auch eine alpenländische Schrulligkeit nennen. Aber es entspricht dem Wesen der Schweizer, die nicht polarisieren, sondern den Konsens suchen.

Diese Harmonie wird seit einigen Jahren massiv von dem rechtspopulistischen Blocher infrage gestellt. Das Zugpferd der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ist ein Polterer und reitet eine Kampagne nach der anderen, um mit fremdenfeindlichen Unter- und Obertönen vermeintlich die Schweiz zu retten. Sich selbst stilisiert er dabei als Opfer der Linken. Diese Strategie hat seine SVP zur stärksten Partei des Landes gemacht – ein Zeichen dafür, dass es unter der Oberfläche der Ruhe und Liberalität gewaltig gärt. Blocher selbst hatte die Konkordanz wiederholt infrage gestellt und für eine Mitte-rechts-Regierung plädiert. Wegen seiner beleidigenden Ausfälle in der Vergangenheit haben ihm nun Sozialdemokraten, Grüne, Teile der Christdemokraten und andere entgegen alter parlamentarischer Gepflogenheiten die Gefolgschaft versagt. Es ist eine breite bürgerliche und linksliberale Mehrheit, die sich von Blochers lauten Provokationen abgestoßen fühlt und diesem Gefühl hat diese Mehrheit jetzt Geltung verschafft.

Dieser Schuss könnte aber nach hinten losgehen. Blocher kann jetzt der liberalen Mehrheit vorwerfen, Schuld am Ende der Konkordanz zu sein. Jetzt hat er einen Freibrief, die Regierung anzugreifen und sich erneut als Opfer darzustellen – was ihm nützen und dem liberalen Lager schaden wird. Man kann aber den Vorgang auch positiv sehen: Sollte die Konkordanz begraben werden, wird die Schweiz ein Land mit offenen und lauten Debatten, mit Streit, Widerspruch und Kritik. Ein ganz normales Land also.

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