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Meinung: Politischer Aschermittwoch: Der letzte Schrei: Inhalte

Es war nicht nur ein Hilfeschrei oder die Demonstration ohnmächtiger Wut. "Diese blödsinnige Personaldebatte muss aufhören.

Es war nicht nur ein Hilfeschrei oder die Demonstration ohnmächtiger Wut. "Diese blödsinnige Personaldebatte muss aufhören. Das wollen die Leute nicht mehr hören" - diese beiden herausgeschleuderten Sätze klangen wie die Präambel zu Edmund Stoibers Programm. Der Politische Aschermittwoch als richtiges Politikum - und die 8000 Zuhörer in der Passauer Nibelungenhalle haben es verstanden. Sie jubelten auch bei diesem Satz: "Mit Themen müssen wir die Menschen packen."

Die Union ist gegenwärtig in vielem gespalten, aber unter anderem eben auch geteilt in diejenigen, die um die interne Macht streiten, und diejenigen, die in Wahlen siegen wollen, um Gestaltungsmacht zurückzugewinnen. Wozu Stoiber sich zählt, ist nach seiner Rede klar. Was ihn treibt, ebenso. Erstens ist es die Auffassung, dass die Bundestagswahl 2006 nicht leichter zu gewinnen sein wird als die im nächsten Jahr. Nicht nur, dass Stoiber, ein möglicher Kandidat, sowieso schon älter ist als Gerhard Schröder. Außerdem beweist sich: Je länger Schröder regiert, desto mehr haben sich die Bürger an ihn gewöhnt und desto mehr trauen sie ihm das Regieren auch zu. Das machte ja auch einen großen Teil des Kohl-Effekts aus.

Zweitens bringt die Stoibers und Schäubles der Glaube zusammen, dass in den kommenden Wahlen nur mit Werteorientierung und mit "Substanz" Regierungswechsel herbeizuführen seien. Den Glauben daran hat ihnen das Beispiel Amerika zurückgegeben, wo der "mitfühlende Konservative" George Walker Bush siegte: trotz wirtschaftlichen Wachstums und innenpolitischer Stabilität. Daraus lässt sich jetzt für die Konservativen in Deutschland diese Losung ableiten: "Werte und Inhalte" gegen eine "Politik der Beliebigkeit".

Stoiber war, das wurde vorher mehrmals erklärt, die Rede in Passau inhaltlich sehr wichtig. Wie wichtig, zeigte sein Versuch, im Ganzen Verlässlichkeit zu demonstrieren in einer Welt, in der auf wenig Parameter Verlass zu sein scheint. Und das anhand einer Konzeption, die eine Richtung aufzeigt: Vorwärts mit einer auch ausgesprochenen Rückbesinnung. Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes - dazu gehört für die Christ-Sozialen nicht erst seit Heiner Geißler Familienpolitik. Sie soll, wenn Stoiber zu trauen ist, einen wichtigen Teil der Substanz bilden gegen die vermeintliche Dominanz der Beliebigkeit.

Das war Stoibers Inszenierung. Erst ließ er dafür solche Fakten paradieren: Dass die Geburtenrate im Wohlstandsland konstant niedriger sei als in den Kriegsjahren 1917/18 oder 1944/45. Dass der "Bevölkerungsverlust" nur noch mit dem während des Dreißigjährigen Kriegs im 17. Jahrhundert zu vergleichen sei. Dass der Weltbevölkerungsbericht heute die Industriegesellschaften "vergreisen" sehe.

Daran schloss sich sein Bekenntnis an, die Familie im altbewährten Sinne sei immer noch die Grundlage des Staates, nicht nur für seine Sozialsysteme. Und Bayerns Regierung, soweit dann zur Konzeption, will nächste Woche zum Thema tagen, wie Familien mit Kindern das Leben leichter gemacht und Kinderbetreuung erleichtert werden kann. So sprach Stoiber, der Kandidat - bewusst konservativ, provokant, ganz gezielt gegen den Genossen Trend in der Gesellschaft.

Wenn er sich da mal nur nicht täuscht. Die SPD ist schließlich auch schon auf diesem Kurs. Rechtzeitig zum Aschermittwoch hat die Bundestagsfraktion Überlegungen in die überregionalen Schlagzeilen gebracht, dass Kinderbetreuung steuerlich gefördert werden könnte. Also Haushaltshilfen sollen steuerlich abzusetzen sein, ein Vorschlag der vormaligen konservativ-liberalen Koalition, der früher in Bausch und Bogen als "Dienstmädchen-Privileg" abgelehnt wurde. Nun aber braucht auch die "Neue Mitte" Dienstmädchen.

Jetzt soll das Jahr 2001 auch aus sozialdemokratischer Sicht ein "Jahr der Familie" werden. Die Schlagzeilen sind als eine Art Präambel zu ihrem neuen Programm zu verstehen, mit der Verheißung von Milliarden als Substanz. "In dieser Frage wollen wir eine neue gesellschaftspolitische Diskussion", sagt die SPD-Finanzexpertin Nicolette Kressl. Wenn das und wenn ihre Pläne Wirklichkeit werden, dann wird das Thema Millionen Menschen packen. Und die Unionsparteien werden ganz schnell wieder bei ihren Personaldebatten landen. Mit und ohne Stoiber. Die Union ist doch keine große Familie.

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