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Protest in Pakistan gegen die Mohammed-Karikaturen.

© AFP

Politischer Islam: Im Kampf um Seele, Herz und Kopf

Jeder Glaube will überzeugen. Wie aber wirbt der politische Islam für sich? Seine Anhänger halten abgeschlagene Köpfe hoch, schwenken Maschinengewehre und geraten in mörderische Rage wegen gezeichneter Strichmännchen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Amerikaner haben nach 1945 für ihr Lebensmodell geworben. Sie taten das nicht allein in Deutschland, sondern in sämtlichen vom Zweiten Weltkrieg erschütterten Gebieten. Unter dem Namen Marshallplan als Dachbegriff wurde das European Recovery Program (ERP) bekannt, assoziiert wird es meist mit den Milliarden Dollar, die nach dem Krieg aus den USA in die zerstörten Städte und Gesellschaften Europas geflossen sind.

Weniger bekannt ist, in welchem staunenswerten Ausmaß dieses Programm nicht nur Gelder exportiert hat, sondern auch Gedanken. Um Demokratie und Freiheit zu vermitteln, gab es Abteilungen für Film, Radio, Presse, visuelle Medien. „Selling Democracy“ hieß das Programm. Gemeint war: für Demokratie werben. Ja, die Gesamtstrategie fügte sich ins Konzept des Kalten Krieges. Zugleich handelte es sich bei dem Programm um das vermutlich größte und produktivste Geschenk der Geschichte. Seine Geber, die Vereinigten Staaten, sind weiterhin die Nummer eins der beliebtesten Einwanderungsstaaten der Erde.

Heute wollen an vielen Orten der Welt viele Anhänger einer Religion für ihre Version von Frömmigkeit werben. Sie wollen die Herzen und Köpfe von Millionen gewinnen und nennen sich Salafisten, Dschihadisten, Gotteskrieger. Sie zählen zum „politischen Islam“, sie wünschen sich, dass ihre Ideen, ihr Glaube sich möglichst im ganzen Mittleren Osten verbreiten, und in Asien, und in Afrika, und in Europa – am besten rund um den Erdball. Sie haben mithin Großes vor, und versprochen wird ein Allah, dessen Qualitäten Barmherzigkeit und Gnade seien. Dessen Anhänger sind zu sehen, wie sie abgeschlagene Köpfe hochhalten, Dörfer abfackeln, Schulmädchen entführen, Gewalt gegen Frauen ausüben, Maschinengewehre schwenken, wegen gezeichneter Strichmännchen in mörderische Rage verfallen und Hasstiraden vortragen gegen Leute, die einen anderen Glauben hegen.

Äußert einer friedlich eigene Gedanken, ergeht es ihm schlecht - wie Raif Badawi

Gewettert wird gegen Demokratie und Freiheit. Äußert einer friedlich eigene Gedanken, ergeht es ihm schlecht. So wie Raif Badawi, der in Saudi-Arabien von Staats wegen durch allwöchentliche, öffentliche Misshandlung langsam hingerichtet werden soll. Im Namen der Barmherzigkeit? Würde man eine Werbeagentur fragen, ob so etwas förderlich sei für das Image einer Idee, für den Ruhm und Ruf einer frommen Sache, würde man die Kunden mit Abscheu ablehnen oder sofort ins Irrenhaus einweisen lassen.

Herzen und Köpfe von Millionen Menschen gewinnen wollte auch das European Recovery Program. In der Summe war seine Wirkung fantastisch und anhaltend. Sie breitet sich bis heute weiter aus. Ganze Gesellschaften begannen damals eine Transformation und haben sich modernisiert, Millionen von Menschen erfassten den Sinn von Partizipation und Demokratie. In den Kinos aller vom Marshallplan beschenkten Länder sah das Publikum damals vor dem Hauptfilm – vor der Liebesgeschichte, der Ganovenkomödie – brillant gedrehte Kurzfilme zu Rang und Rolle des ERP-Programms. Gezeigt wurden zudem Szenen zur Gleichberechtigung der Geschlechter oder zur Teilnahme an Wahlen.

Rückblickend erscheint einiges davon didaktisch bis komisch. Ein Mann lässt sich beim Frühstück von seiner Frau bedienen, während er Zeitung liest. Sie bekommt genug davon, beide erörtern ihre Rollen, sie denken um. Oder da hockt jemand lieber in der Kneipe, als an die Wahlurne zu gehen, und dann spricht sein Gewissen: Moment mal, der Gemeinderat geht doch auch dich was an!

So veraltet und hausbacken das im Rückblick scheint, gewirkt hat all das, weil die projektierte Zukunft attraktiv ausgesehen, zur Entfaltung angeregt, Initiative und Interesse bei Millionen geweckt hat. Da wollten die meisten dabei sein und nichts verpassen, mitmachen, sich mit Worten um die besten Konzepte und Parteien streiten, sich ausprobieren, ihr Leben entwerfen. Herausgekommen sind hochkomplexe Gesellschaften, die ihre Widersprüche und Probleme aushandeln.

Wer die aktuelle Werbung der Terrortruppen und Terrorzellen für ihre Sache zur Kenntnis nimmt, wird kaum überzeugt. Da will man nicht dabei sein. Da will man nicht mitmachen. In solche Länder will man nicht reisen, nicht als Tourist, auch sonst nicht.

Was zum Beispiel jetzt in Saudi-Arabien offiziell, nicht etwa von einem selbst ernannten Terrorstaat, inszeniert wird, wird nicht nur einen Gott der Barmherzigkeit entsetzen. Das bringt Schande über die Menschheit. Als gäbe es davon nicht schon genug.

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