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Meinung: Politischer Neubeginn: Wowereits riskantes Spiel

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat gestern Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal überhaupt stürzte das Parlament einen Regierenden Bürgermeister.

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat gestern Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal überhaupt stürzte das Parlament einen Regierenden Bürgermeister. Zugleich beendeten die Abgeordneten damit eine ganz besondere politische Karriere. Eberhard Diepgen hat diese Stadt so lange regiert wie niemand sonst seit dem zweiten Weltkrieg. Sein Name steht für ein Bild Berlins, für eine Ära, die nun mit ihm zu Ende gehen soll. Diepgens Nachfolger, der Sozialdemokrat Klaus Wowereit, wurde gewählt mit den Stimmen der PDS. Und auch wenn die SPD es gerne anders hätte: Auch das ist etwas ganz Besonderes.

Die rot-rot-grüne Mehrheit des Parlaments nahm ihr eigenes Vorgehen fast erstarrt zur Kenntnis - ganz so, als würde den Abgeordneten die Bedeutung ihrer Entscheidungen erst jetzt bewusst. Durch eine beklemmende Stille schritt Eberhard Diepgen nach seiner Abwahl zum Rednerpult, von wo aus er seinen Rücktritt erklärte. Ganz unspektakulär. Und als der Parlamentspräsident die erfolgreiche Wahl von Klaus Wowereit bekannt gab, war nur ein zögernd einsetzender, eher pflichtschuldiger Beifall zu hören. Kein Vergleich zu der rauschhaften Begeisterung, die große Machtwechsel sonst kennzeichnet.

Die Stimmung, die diesen besonderen Tag durchzog, war Ungewissheit - darüber, ob das alles so richtig war, und darüber, wie es weitergehen soll. Etlichen SPD-Abgeordneten war anzusehen, wie schwer es ihnen fiel, gemeinsam mit der PDS erst gegen Diepgen, dann für Wowereit zu stimmen. Nur wenige wagten es, sich der Fraktion zu entziehen. Aber die Euphorie, die in den Tagen des Koalitionsbruchs die gesamte SPD erfasst hatte, die ist verflogen. Die PDS müsse sich deutlich wandeln, bevor sie als Partner in Frage komme, hieß es noch vor wenigen Monaten. Aber plötzlich war das gar nicht mehr die Frage. Die SPD-Spitze hat ihr neues Verhältnis zur PDS über ihr sich verschlechterndes Verhältnis zur CDU umdefiniert. Das liegt manchem Sozialdemokraten zu schwer im Magen, um Freudensprünge aufzuführen.

Zum Thema Online Spezial: Machtwechsel in Berlin Reaktionen: Schröder und Müntefering gratulieren - Koch und Teufel warnen Dokumentation: Die Ergebnisse der Wahl Wie geht es jetzt weiter? Hundert Tage werden einer neuen Regierung normalerweise zugestanden, um sich zu orientieren. Aber in hundert Tagen wird schon wieder gewählt. Die neue Berliner Landesregierung hat nicht einmal hundert Stunden. Sie muss schnell handeln, um die Finanzkrise zu begrenzen - und das mit neuen Leuten. Wowereits Übergangssenat ist deshalb zwiespältig. Der Wille zum Neuanfang ist erkennbar, aber der Neuanfang ist nicht die eigentliche Aufgabe dieses Senats.

Klaus Wowereit, der neue Regierende Bürgermeister, ist ein Spieler. Wie er den Machtwechsel vorbereitete und vollzog, wie er sich selbst an die Spitze brachte, zeigt seine Bereitschaft zum Risiko. Denn einfach ausrechnen konnte er seine Mehrheit im Parlament nicht. Er musste pokern, und er setzte alles: seine politische Karriere. Im Abgeordnetenhaus hat er damit gewonnen - aber nur eine Runde. Richtig gewonnen hat er erst nach der nächsten Wahl. In der SPD wächst die Skepsis, ob diese so leicht zu gewinnen ist, wie es vor ein paar Wochen noch schien. Wohl auch deshalb gab es gestern im Parlament keinen großen Jubel. Denn die Ungewissheit bleibt bestehen. Wowereit kann noch der große Verlierer werden. Aber er hat es nicht mehr allein in der Hand. Er hat seine besten Karten ausgespielt. Sein neuer Senat kann ihm wenig helfen, im besten Fall schadet er nicht. Jetzt sind erstmal wieder die anderen dran.

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