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Beppe Grillo und seine Fünf-Sterne-Bewegung kritisierten die Wiederwahl des ehemaligen Staatschefs scharf.

© Reuters

Politisches Chaos in Italien: Beppe Grillo - der wahre Staatslenker

Giorgio Napolitano ist 87 Jahre alt. Nun wurde er erneut zum Staatspräsidenten Italiens gewählt. Das zeigt: Die politische Kaste igelt sich ein. Das Volk wird immer wütender - und Beppe Grillo noch gefährlicher.

Noch vor zwei, drei Jahren hätte man geschrieben, Giorgio Napolitanos Wiederwahl als Staatspräsident sei das Beste, was Italien passieren konnte. Doch die Zeiten haben sich geändert. Neue Kräfte sind ins Parlament eingedrungen; das Volk will sich tendenziell von anderen Leuten vertreten lassen als bisher.

Die Einigung auf Napolitano ist demgegenüber ein Rückfall der Parteien in überholte Strategiemuster. Es ist das Resultat einer Reihe von gravierenden politischen Fehlern, deren dauerhaftester und schwerwiegendster die eigene Reforumunfähigkeit ist. Napolitanos Wiederwahl ist keine Lösung. Es ist ein Manöver innerhalb des „Palazzos“ der Macht; die „Kaste“ igelt sich ein – während draußen ein immer unzufriedeneres Volk dagegen anrennt.

Die neuen Kräfte im Parlament, das sind beileibe nicht nur die fundamentaloppositionellen „Grillini“. Neu sind auch mehr als die Hälfte der Abgeordneten; der Altersdurchschnitt ist merklich gesunken. Gerade unter den Sozialdemokraten, der relativ stärksten Formation, verdanken zwei Drittel der Parlamentarier ihren Sitz erstmals nicht den Personalvorstellungen des zentralen Parteiapparats und dem mathematisch ausgeklügelten Proporz zwischen den einzelnen Strömungen, sondern dem freien Votum der Basis. Das wandelt die Loyalitäten. Erstmals seit langer Zeit dringen die Wünsche des Volks ungesteuert und ungefiltert nach oben durch.

„In meinem Wahlkreis haben 9000 Bürger für mich gestimmt; kein einziger ist mit der Linie der Parteileitung einverstanden. Und bevor sie mich mit faulen Eiern bewerfen, halte ich mich daran“, sagte die Deutsche Josefa Idem, die ihre Kanu-Goldmedaillen für Italien gewonnen und jetzt für die Sozialdemokraten in Ravenna ein Parlamentsmandat errungen hat. Idem war folglich eine von jenen, die sich bei der Wahl des Staatsoberhaupts fünf Runden lang dem Diktat der Parteiführung widersetzten und diese schließlich zum Rücktritt zwangen.

Auf die Spitze treibt Beppe Grillo diese neue Art der „Volks-Vertretung“. Wahre Demokratie brauche kein Parlament, sagt er, sie verwirkliche sich per Internet, jeder Bürger könne per Klick mitregieren. Dabei agiert ausgerechnet er, der vor Selbstgerechtigkeit strotzende Verfechter dieser Idee, ganz undemokratisch: Trotz aller Nachfragen weigert Grillo sich mitzuteilen, wie viele Bürger überhaupt an seinen „basisdemokratischen“ Vorwahlen für den Posten des Staatsoberhaupts teilgenommen haben und wie die Ergebnisse zustande gekommen sind.

Grillo behauptet, das Volk zu repräsentieren – und erweckt den Verdacht, er selber halte sich für das Volk. Was Grillo betreibt, ist Demagogie. Aber das spielt keine Rolle: Er versteht es, Hunderttausende zu mobilisieren, und das nicht nur im virtuellen Raum des Internets. Der bisher im privaten Bereich reichlich diskutierte Unmut der Italiener über die „Kaste“, er geht – hinter den Fahnen Grillos und getrieben durch die in dessen Hetzreden systematisch verstärkte Wut – plötzlich auf die Straße.

So gerechtfertigt die Proteste gegen Italiens politisches System sind: Sogar Grillos eigener Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten, der integre Jurist Stefano Rodotà, distanziert sich ausdrücklich von jedem „Marsch auf Rom“. Er spielt damit an auf die Machtergreifung Benito Mussolinis 1922. Und nicht nur Rodotà sieht, verkleidet in Grillos Gewand der „Internet-Demokratie“, einen neuen, brandgefährlichen Faschismus heraufziehen.

Giorgio Napolitano war und ist ein exzellenter Staatspräsident. Eine Antwort auf die gewandelte politische Lage ist der 87 Jahre alte Mann nicht. Die Parteien haben dem Systemstürzer Grillo das Spiel noch einfacher gemacht – so einfalls- und so hilflos wie sie gegen ihn agieren.

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