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PORTRÄT DIETER GRAUMANN ZENTRALRAT DER JUDEN: „Wir brauchen Fantasie statt Rituale“ 

Es klang wie eine Bewerbungsrede für den Chefposten. Dieter Graumann, Vizechef der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sprach am 9.

Es klang wie eine Bewerbungsrede für den Chefposten. Dieter Graumann, Vizechef der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sprach am 9. November vergangenen Jahres in der Frankfurter Paulskirche über die neu gewachsene Vielfalt in der jüdischen Gemeinschaft und wie der Zentralrat darauf reagieren müsse.

Graumann ist Betriebswirt und verdient sein Geld als Liegenschaftsverwalter. Seit vergangener Woche gilt der 59-Jährige als Anwärter auf eines der höchsten und zugleich schwierigsten Ehrenämter in Deutschland, den Posten des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Am Sonntag hatte Amtsinhaberin Charlotte Knobloch erklärt, dass sie bei der Neuwahl im November nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren will. Der Zentralrat ist die höchste politische Vertretung der rund 106 000 in jüdischen Gemeinden organisierten Juden in Deutschland.

Das Gremium müsse seine Rolle „offen und selbstkritisch überdenken“, sagte Graumann in der Paulskirche, es müsse „vom tristen, ewig ungeliebten Dauermahner zum putzmunteren Impulsgeber“ werden und brauche „Fantasie statt Rituale“. Das hört sich gut an. Da kommt also endlich einer, der will Verkrustungen aufbrechen, der will weg vom Immergleichen.

Allerdings hat es Graumann mit der Selbstkritik nicht so eilig. „Eines fernen Tages“ soll es so weit sein. Oh je. Den Zuwanderern, die sich beschweren, dass sie in dem obersten Gremium kaum vertreten sind, obwohl sie drei Viertel der Gemeindemitglieder ausmachen, verkündete Graumann in der Paulskirche, sie sollten sich „noch ein Weilchen“ gedulden. Denn „am Ende funktioniert denn doch die kalte Mechanik von Zahl und Mehrheit: Führung braucht Mehrheit, Mehrheit wieder begründet Führung“. Eine Willkommensgeste, ein Aufruf, mitzumachen, sieht anders aus.

Dieter Graumann wird, falls er im November tatsächlich zum Zentralratschef gewählt wird, der Erste in dem Amt sein, der den Holocaust nicht mehr selbst erlebt hat. Er ist das Kind von HolocaustÜberlebenden. Die Eltern haben ihre traumatischen Erlebnisse an ihre Kinder weitergegeben. Natürlich bleibt deshalb auch für Dieter Graumann das Bewahren der Erinnerung an die Shoah „unsere moralische Mission“. Wer hofft, aus welchen Gründen auch immer, mit ihm werde das Mahnen in den Hintergrund treten, wird enttäuscht werden. Claudia Keller

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