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PORTRÄT DILMA ROUSSEFF PRÄSIDENTIN BRASILIENS:: „Habe die Stimme der Straße gehört“

Selbst bei ihrer zehnminütigen Fernsehansprache wirkte sie noch kalt und unnahbar. Dabei wollte Dilma Rousseff ganz mütterlich einen Plan für ein neues Brasilien präsentieren, an dem alle mitwirken sollten: sowohl die Gouverneure der Bundesstaaten als auch die Repräsentanten der Massenproteste, die Millionen von Brasilianern mobilisieren.

Selbst bei ihrer zehnminütigen Fernsehansprache wirkte sie noch kalt und unnahbar. Dabei wollte Dilma Rousseff ganz mütterlich einen Plan für ein neues Brasilien präsentieren, an dem alle mitwirken sollten: sowohl die Gouverneure der Bundesstaaten als auch die Repräsentanten der Massenproteste, die Millionen von Brasilianern mobilisieren. „Ich habe die Stimme der Straße“ gehört, sagte Brasiliens Präsidentin. Und fügte an: Es war meine Generation, die für das Recht gekämpft hat, auf die Straße gehen zu können.

Es war ein Hinweis darauf, dass niemand mehr unter den Anfeindungen der Protestierer leiden dürfte als die Präsidentin selbst. „Dilma raus!“ liest und hört man häufig bei den Demonstrationen. Dabei hat die 65-Jährige als junge Frau selbst gegen die brasilianische Militärdiktatur gekämpft und saß Anfang der 70er in verschiedenen Kerkern. In der Zeit wurde sie schwer gefoltert, worin viele den Hauptgrund für ihre Distanziertheit sehen wollen, in der sie Angela Merkel nicht unähnlich ist. Die Herzen der Brasilianer werden Rousseff jedenfalls nicht mehr so zufliegen wie ihrem Vorgänger Lula da Silva, aus dessen Schatten sie sich nicht befreien kann.

Allerdings trat Rousseff auch kein leichtes Erbe an. Seit ihrem Amtsantritt stottert die brasilianische Wirtschaft, zurzeit verliert der Real stark an Wert. Hinzu kommt, dass Rousseffs Arbeiterpartei von Korruptionsaffären erschüttert wird und viele der Staatsprogramme, mit denen Millionen von Brasilianern aus der Armut geholt wurden, in den Verdacht der Misswirtschaft geraten sind.

Ebenso entscheidend für Rousseffs gefallene Zustimmungsrate (55 Prozent) dürfte sein, dass sie es mit einem Kongress zu tun hat, der von Lobbyinteressen beeinflusst wird. So wurde ihr Versuch, mehr Einnahmen aus dem lukrativen Rohstoffgeschäft in die Bildung zu leiten, von Parlamentariern torpediert, deren Wahlkämpfe von eben jener Industrie finanziert werden. Dass Dilma den Vorschlag nun bei ihrer Rede an die Nation wiederholte, ist ihr Versuch, das Parlament doch noch zur Annahme zu drängen. Sie, die Kämpferin, die vor vier Jahren den Lymphdrüsenkrebs besiegte, will sagen können: Ich habe es wenigstens versucht. Noch bevor sie am Montag einige Gouverneure und Bürgermeister in Brasilia empfing, traf sie mit Sprechern der Protestbewegung zusammen. Sie steht den Demonstrationen offenbar näher, als es die Demonstranten ahnen. Philipp Lichterbeck

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