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Porträt: „Ich denke nicht ethnisch, sondern ethisch”

Sie ist die Enkelin von Tito. Sie lebt in Sarajevo. Doch die Ärztin und Autorin Svetlana Broz glaubt an das Gute in ihren Mitmenschen - und in ihrem Land.

Von Caroline Fetscher

Das Land, das ihr Großvater, Josip Broz Tito, zusammengehalten hatte, befand sich im rapiden Zerfall. Svetlana Broz, aufgewachsen im Geist des Mottos von der „Brüderlichkeit und Einheit“, wollte nicht untätig bleiben. Vor 20 Jahren, als die Blockade Sarajevos durch serbische Truppen und Milizen begann, schmiedete sie einen Plan. Wenig später machte sich die 1955 geborene Kardiologin von Serbiens Hauptstadt Belgrad aus auf den Weg nach Sarajevo und bot dort medizinische Hilfe an. Mitten in Hass und Gewalt eröffnete sie ihre Praxis.

Svetlana Broz war auf alles gefasst und riskierte viel. „Ich denke ethisch, nicht ethnisch“, lautet ihr Leitmotiv. Was die Ärztin von ihren Patienten in Sarajevo hörte, hat sie überwältigt. Vielleicht weil sie die Enkelin des Mannes war, der für den Vielvölkerstaat stand, begannen viele, gerade ihr anzuvertrauen, was sie heimlich gegen den Hass taten. Sie hörte von bosnischen Muslimen, die serbischen Nachbarn Medikamente brachten, von Serben, die bosnische Muslime deckten, von kroatischen Katholiken, die muslimischen Freunden beistanden. An „Feinde“ gaben sie Lebensmittel, Arzneimittel, Decken, Heizmaterial – und Hoffnung – weiter, wie der serbische Taxifahrer in Sarajevo, der durch die Stadt kreuzte, um verbunkerten muslimischen Familien Brot zu bringen. Sie unterwanderten das toxische Klima, den Schlachtenlärm religiöser und ethnischer Entzweiung in Krieg und Bürgerkrieg.

Broz zog an Wochenenden mit ihrem klapprigen Auto und einem Tonband los und interviewte so viele dieser Helfer, wie sie konnte. Tausende solcher Geschichten sammelte Broz. Sie fand sie bei Bäuerinnen, Polizisten und Professoren, bei Reichen und Armen, Gläubigen und Atheisten, die Geschichten der „Guten Leute in schlechten Zeiten“ („Dobri Ljudi u Vremenu Zla“) – so der Titel des Buches, das daraus entstand und das inzwischen in sechs Sprachen übersetzt wurde; ein deutscher Verlag fehlt darunter. Als Nationalisten in Belgrad ihr Büro verwüstet und die Dokumente zerstört hatten, zog sie aufs Neue los und sammelte die Berichte der Guten. Manche wollten sich nur anonym äußern, so groß war die Angst.

Heute lebt Broz in Sarajevo. Mit ihrer Organisation „Gariwo“ setzt sie sich weiter für das Prinzip des Dialogs und die Menschenrechte ein. Sie erhält Einladungen aus aller Welt. „Aber ich bleibe in meinem Land“, sagt die Frau, die das Prinzip Hoffnung verkörpert. Caroline Fetscher

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