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PORTRÄT INGRID BETANCOURT ENTFÜHRUNGSOPFER: „Wir leben wie die Toten“

Seit fünf Jahren befindet sie sich in der Gewalt linker Guerrilleros. Seit fünf Jahren bangt, unter weltweiter Anteilnahme, ihre Familie um sie, kämpft die Politik um ihre Freilassung.

Von Michael Schmidt

Nach fünf langen Jahren gab es jetzt endlich das erste konkrete Lebenszeichen: Videoaufnahmen, die die 2002 von den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“ (Farc) entführte Ingrid Betancourt in bedrückend schlechtem Zustand zeigen: abgemagert, apathisch, auf den Boden starrend.

Am Wochenende nun haben die kolumbianischen Behörden zudem einen Brief der früheren Präsidentschaftskandidatin an ihre Mutter veröffentlicht. Wie die Tageszeitung „El Tiempo“ schreibt, schildert die 45-Jährige darin die Tortur ihrer Gefangenschaft, des kräftezehrenden ständigen Wechsels von einem Versteck zum nächsten. Ihr reichlich provisorisches „Zuhause“ – eine Hängematte unter einem Zeltdach, ein Moskitonetz und ein Abstellbord, darauf der „einzige Luxus“, der ihr geblieben sei: ein Wäschebeutel und eine Bibel. Ihr Leben sei eine einzige Zeitverschwendung. Das einzig Beständige seien die Ungewissheit und Unsicherheit. Es gehe ihr schlecht, sie habe keinen Appetit und ihr fielen die Haare aus, schreibt sie in dem Brief, der vom 24. Oktober datiert.

Sie habe keine Lust zu gar nichts, „und das ist wahrscheinlich das einzig Gute hier“, teilt sie mit. Es sei besser, frei von Wünschen zu sein, „denn hier im Dschungel ist die Antwort auf alles: ,Nein’.“ Seit drei Jahren bitte sie um ein Lexikon, um etwas zu lesen zu haben, etwas lernen und sich ein bisschen intellektuelle Neugier bewahren zu können. Vergeblich. „Es ist besser gar nicht daran zu denken.“ Was ihr aber trotz alledem nach wie vor wirklich wichtig sei, schreibt sie fast beschwörend, seien die regelmäßigen Botschaften ihrer Kinder: „Ich brauche nicht viel, aber ich brauche den Kontakt mit ihnen.“

Betancourt dankt jenen, die sich für sie einsetzen: „All diese Jahre waren fürchterlich, aber ich glaube nicht, dass ich noch am Leben wäre ohne den Einsatz, den sie für uns alle erbracht haben – für uns, die wie die Toten leben.“ Nachdem aber die kolumbianische Regierung dem venezolanischen Staatschef Chavez, der sich als Vermittler für eine humanitäre Lösung in dem Geiseldrama eingesetzt hatte, in der vergangenen Woche das Vermittlungsmandat entzog, tendieren die Chancen für eine baldige Freilassung allerdings wieder gegen null. Zumal die Regierung direkte Verhandlungen mit den Guerilleros ablehnt. Michael Schmidt

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