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Porträt: Jay Carney: „Europa soll die USA ruhig offen kritisieren“

Es ist eine überraschende Wendung im Streit, wer die größere Gefahr für die Weltwirtschaft darstellt: Europas schleppende Reaktion auf die Euro-Krise oder Amerikas laxer Umgang mit seinen Schulden? Barack Obamas Sprecher Jay Carney ermuntert Kanzlerin Merkel und andere Regierungschefs nun, ihren Unmut über die Blockade im US-Kongress zu äußern.

Es ist eine überraschende Wendung im Streit, wer die größere Gefahr für die Weltwirtschaft darstellt: Europas schleppende Reaktion auf die Euro-Krise oder Amerikas laxer Umgang mit seinen Schulden? Barack Obamas Sprecher Jay Carney ermuntert Kanzlerin Merkel und andere Regierungschefs nun, ihren Unmut über die Blockade im US-Kongress zu äußern. „Wenn die Führer Europas oder anderer Erdteile unterstreichen wollen, was auch wir sagen, dass die Störung der politischen Abläufe in Washington schlecht für die Wirtschaft ist, sage ich: von mir aus gerne. Und ich bin sicher, der Präsident ist einverstanden.“

Politisch ist das heikel. Wenn Obama sich offen mit dem Ausland gegen die innenpolitischen Gegner verbündet, können die Republikaner ihm das als unpatriotischen Akt ankreiden. Andererseits befürchten die Märkte eine „Double Dip“-Rezession, falls Europa und Amerika die Probleme nicht rasch lösen. Obama hat Druck auf Regierungen und Parlamente in der EuroZone ausgeübt, das Rettungspaket für Griechenland und andere Pleitestaaten zu verabschieden.

Die Bundesregierung war darüber verärgert. Erstens glaubt sie, es werde die Märkte nur noch mehr verunsichern, wenn die USA Europa offen kritisieren. Zweitens empfindet sie den Vorwurf als dreist. Der schleppende Umgang Amerikas mit seinen Schulden ist aus ihrer Sicht ein mindestens ebenso großes Risiko für die Weltwirtschaft. Dreimal in diesem Jahr drohte die Schließung der Regierung, weil der Kongress sich nicht rechtzeitig auf ein Budget einigen konnte. Das ließ die Börsen zittern und führte zur Herabstufung der Kreditwürdigkeit Amerikas.

Bei Carney klingt es anders – so als habe Obama Merkel und anderen Regierungschefs der Euro- Zone mit seinen öffentlichen Warnungen geholfen, Mehrheiten in ihren Parlamenten für das Rettungspaket zu finden. In seine Antwort auf die Frage des Tagesspiegels, ob die öffentliche Kritik das neue Modell für den Umgang miteinander sei, ließ er einfließen, Obama und Merkel telefonierten regelmäßig miteinander. Spielen die beiden über Bande: Er hilft ihr bei der Verabschiedung des Rettungspakets – und nun soll sie ihm helfen gegen die Republikaner im Kongress? Carney nennt Amerikas Umgang mit dem Budget „eine Wunde, die wir uns selbst und potenziell der Weltwirtschaft zufügen“. Vielleicht soll es auch nur ein Friedensangebot sein. Obama hat Europa kritisiert, also darf Europa das umgekehrt auch. Christoph von Marschall

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