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PORTRÄT KLEINE MEERJUNGFRAU EXPO-REPRÄSENTANTIN:: „Nein, das wird mir nichts ausmachen“

Die kleine Meerjungfrau flüsterte der Meereshexe zu: „Nein, das wird mir nichts ausmachen.“ Trotz großer Schmerzen („als ob dein Körper mit dem Schwert geteilt wird“) und dem ewigen Verlust der Stimme wollte die jüngste und hübscheste Tochter des Meereskönigs ihre Flosse in Menschenbeine verwandelt sehen.

Die kleine Meerjungfrau flüsterte der Meereshexe zu: „Nein, das wird mir nichts ausmachen.“ Trotz großer Schmerzen („als ob dein Körper mit dem Schwert geteilt wird“) und dem ewigen Verlust der Stimme wollte die jüngste und hübscheste Tochter des Meereskönigs ihre Flosse in Menschenbeine verwandelt sehen. Die 15-Jährige hatte sich bei ihrem ersten Ausflug aus dem Meer in einen Prinzen verliebt, den sie vor dem Ertrinken rettete. Dieser verliebte sich dann aber sofort in eine andere Frau.

Deshalb blickte die aus Bronze gegossene Kleine Meerjungfrau aus Hans Christian Andersens Märchen immer auch ein wenig wehmütig aus der Bucht von Kopenhagen. Dort, auf einem Fels, saß sie fast 100 Jahre lang. Es passierte viel in dieser Zeit. Einmal wurde sie sogar geköpft. Und es ist kein Märchen, dass die dänische Mordkommission damals in der Sache ermittelte. Aber die hübsche Meerjungfrau blieb als Wahrzeichen Kopenhagens und Dänemarks immer am gleichen Ort.

Nun ist sie weg. In China, zur Weltausstellung Expo 2010 in Schanghai. Dort soll sie als Hauptattraktion des dänischen Pavillons Interesse für Dänemark wecken. Das kleine, nur 5,5 Millionen Einwohner zählende nordische Königreich ist für viele Chinesen eine unbekannte Nation. China gilt aber gerade auch kleinen europäischen Länder als zentraler Wachstumsmarkt. Dass man auf der Expo etwas Besonderes bieten müsse, um aus der Masse europäischer Länder hervorzustechen, war vielen Dänen auch deshalb klar.

Der Pragmatismus ging dennoch vielen zu weit: Ein halbes Jahr ohne Nationalsymbol, das gehe nicht, polterte etwa die mächtige rechtspopulistische Dänische Volkspartei. Die Linken meckerten über unnötige Kosten für den Transport. Und auch die einheimische Tourismusindustrie war verstimmt. Schließlich sollen laut Schätzungen rund eine Millionen Touristen jährlich die Statue betrachten.

„Kann sich jemand ernsthaft vorstellen, die Freiheitsstatue von New York nach Schanghai zu verlegen?“, schimpfte ein Leser in der Zeitung „Politiken“. Auch ein Nachkomme des Statuenerbauers Edvard Eriksen wütete: „Ich bin verdammt sauer. Die Meerjungfrau gehört nach Kopenhagen und nicht nach China.“ Eine Klage dagegen blieb allerdings erfolglos. Und wer weiß – vielleicht verliebt sie sich in China. Vielleicht wird ihre Liebe dann erwidert und sie muss nicht zu Meeresschaum werden, so wie im Märchen. André Anwar

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