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PORTRÄT LUDWIG BAUMANN, WEHRMACHTSDESERTEUR: "Wir sind die Letzten, die noch leben"

Was den 87-jährigen Ludwig Baumann nicht loslässt, ist die Erinnerung an Todeszelle, Prügel und Folter.

Von Hans Monath

Es war ein besonderer Moment im betriebsamen Alltag der Bundespolitik. Während viele Pressekonferenzen von Abgeordneten im Bundestag routinemäßig ablaufen, schien am Donnerstag im Jakob-Kaiser-Haus die schreckliche deutsche Geschichte des vergangenen Jahrhunderts plötzlich zum Greifen nah. „Es ist für mich so ein Grauen“, sagte dort mit leiser Stimme der vor 67 Jahren zum Tode verurteilte Deserteur Ludwig Baumann: „Es verfolgt mich bis heute.“

Was den 87-Jährigen nicht loslässt, ist die Erinnerung an Todeszelle, Prügel und Folter. Zur Pressekonferenz in den Bundestag hatten ihn Christine Lambrecht (SPD), Jan Korte (Linke) und Wolfgang Wieland (Grüne) geladen, die gemeinsam für die Rehabilitierung sogenannter Kriegsverräter gekämpft hatten. Am Donnerstag beschloss der Bundestag in erster Lesung die Aufhebung aller Urteile der NS-Militärjustiz. Aus der Furcht heraus, sich politisch zu isolieren, hatte zuletzt auch die Union ihre jahrelang vorgetragenen Bedenken überwunden.

Der schmale Mann aus Bremen hat als Mitgründer der „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“ viel dazu beigetragen, das „letzte Tabu“ (so der Freiburger Historiker Wolfram Wette) zu schleifen. Während Deserteure, „Zersetzer“ und Kriegsdienstverweigerer aus der NS-Zeit in den vergangenen Jahren rehabilitiert worden waren, tat sich die Politik mit der Wiederherstellung der Würde von wahrscheinlich 20000 hingerichteten „Kriegsverrätern“ bis zuletzt schwer. Und das, obwohl die Forschung längst herausgearbeitet hatte, dass mit dem Willkürvorwurf „Kriegsverrat“ auch viele Akte zivilen Widerstands geahndet worden waren.

Bei Bordeaux war Baumann im Juni 1942 aus Hitlers Wehrmacht desertiert, zehn Monate lang wartete er in der Todeszelle jeden Morgen auf seine Hinrichtung. Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft kam er schwer zurecht in einer Gesellschaft, die ihn und andere Deserteure als „Kameradenschwein“ und „Feigling“ ächtete. Erst als fast 70-Jähriger tat er sich mit anderen Deserteuren zusammen und ging in die Öffentlichkeit.

Um „unsere späte Würde“ gehe es ihm in seinem letzten Kampf, hat Baumann gesagt. Dieser Kampf hat nun Erfolg gehabt, was für den Bremer bedeutet: „Für mich und uns, den Letzten, die noch leben, geht spät ein Traum in Erfüllung.“ Seine Erinnerungen aber, die kann kein Bundestagsbeschluss auslöschen. Hans Monath

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