zum Hauptinhalt
Ali Larayedh, Innenminister von Tunesien, soll neuer Regierungschef werden.

© AFP

Porträt: „Wir sind nicht gegen die Moderne“

Ali Larayedh soll Nachfolger des zurückgetretenen tunesischen Ministerpräsidenten Hamadi Jebali werden. Als politischer Gefangener unter Ben Ali wurde er gefoltert. Nach den ersten demokratischen Wahlen wurde er als Innenminister der Vorgesetzte seiner Peiniger.

Seit dem Mord an dem Linkspolitiker Chokri Belaid steckt Tunesien in schweren Turbulenzen. Obwohl inzwischen einige Tatverdächtige gefasst werden konnten, wächst die Kritik an der regierenden Ennahda-Partei der Muslimbrüder. Anfang der Woche war Ministerpräsident Hamadi Jebali zurückgetreten, nachdem er sich mit dem Vorschlag eines überparteilichen Technokratenkabinetts bei den Hardlinern um Parteichef Rached Ghannouchi nicht hatte durchsetzen können. Am Freitag nominierte die Ennahda-Partei nun den bisherigen Innenminister Ali Larayedh als Nachfolger. Der 57-Jährige gilt im Vergleich zu seinem Vorgänger als ideologisch strikter, auch wenn er Anfang 2011 in einem Interview mit der „New York Times“ sagte: „Wir sind Muslime, aber wir sind nicht gegen die Moderne.“

Unter Diktator Ben Ali hatte der gelernte Marine-Ingenieur Larayedh 15 Jahre im Gefängnis gesessen, davon zehn Jahre in Isolierhaft. Er wurde schwer gefoltert. Regimeschergen drohten, ihm Gift zu spritzen oder ihn mit Aids zu infizieren. Bis heute leidet der künftige Premierminister unter schwerem Asthma, das er sich in seiner feuchten Arrestzelle holte. Seine Ehefrau erlitt einen Nervenzusammenbruch, nachdem sie 1999 von Geheimdienstlern gekidnappt und gequält worden war. Sie musste sich nackt ausziehen und von ihren Peinigern filmen lassen – ein Fall, der seinerzeit auch Eingang fand in westliche Menschenrechtsberichte.

Nach dem Sturz Ben Alis wurde Larayedh Innenminister in der ersten demokratisch gewählten Regierung Tunesiens und damit neuer Herr über Polizei und Geheimdienst, seine früheren Folterer. Doch das Vertrauen der Bevölkerung in seine post-revolutionäre Führung hat bereits beträchtlich gelitten. So terrorisierten salafistische Radikale monatelang Andersdenkende, Künstler und Professoren, ohne dass der Innenminister seine Polizei energisch genug dagegen einschreiten ließ.

In Atem gehalten wird das 10-Millionen-Volk auch durch Streiks und gewalttätige Demonstrationen. Die Wirtschaft kommt nicht in Fahrt. Seit dem Sturz Ben Alis stieg die Arbeitslosigkeit von 13 auf jetzt 18 Prozent. Vorgänger Hamadi Jebali gab denn auch in seiner TV-Abschiedsrede zu, gescheitert zu sein. „Die Tunesier müssen in den kommenden Monaten geduldig sein“, appellierte er. „Alle Forderungen und Sit-ins müssen aufhören, bis die Revolution gesiegt hat.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false