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Position: Gewalt im Namen des Islam

Den Terror verurteilen reicht nicht – die Religion ist das Problem, sie ist der Antrieb für die Gewalt.

Die meisten der Verdächtigen, die in den letzten Tagen nach den versuchten Terroranschlägen in Großbritannien festgenommen wurden, waren Mediziner. Dieses scheinbare Paradox hat viele verwundert. Muslimische Märtyrer – sind die nicht eigentlich arm, verlassen und verbittert? Schon der 11. September sollte gezeigt haben, dass diese Vereinfachung nicht zutrifft.

Die 19 Luftpiraten waren keineswegs arm. Mohammed Atta, ihr Rädelsführer, war Ingenieur und ging nach Deutschland, um ein Aufbaustudium zu machen. 2003 sprach ich mit Mohammed al Hindi, dem politischen Führer des Islamischen Dschihad in Gaza. Selbst ein Arzt, erklärte mir al Hindi den Unterschied zwischen Selbstmord und Märtyrertum. „Selbstmord wird aus Verzweiflung begangen“, diagnostizierte der Doktor. „Die meisten unserer Märtyrer waren dagegen in ihren irdischen Leben sehr erfolgreich.“ Kurz gesagt, nicht unbefriedigte materielle Bedürfnisse machen Menschen zu Selbstmordattentätern. Es ist ihre Religion.

Wie bei Mohammed Sidique Khan, dem Hilfslehrer, der die Bombenanschläge am 7. Juli 2005 in London organisierte. In seiner Videobotschaft sagte er „Der Islam ist unsere Religion“ und „Der Prophet ist unser Vorbild“. Kurz gesagt: Gott war Khans Antrieb.

Oder Mohammed Bouyeri, der in Holland geborene marokkanische Muslim, der Theo van Gogh ermordete. Obwohl er wusste, dass die vielen Schüsse auf sein Opfer tödlich waren, zückte Bouyeri ein Messer, um van Gogh zu enthaupten – aus religiöser Symbolik. Die Klinge symbolisiert Stammeskonflikte aus dem siebten Jahrhundert. Glaubt man Bouyeris Rechtfertigung, beging er seine Tat aus „religiöser Überzeugung“, wie er stolz aussagte.

Im vergangenen Jahr nahm die Polizei in Toronto 17 junge Muslime fest, die angeblich einen Anschlag auf Kanadas Parlament planten. Ihr Vorhaben nannten sie „Operation Badr“ – ein Verweis auf den Kampf von Badr, den ersten entscheidende militärische Sieg des Propheten Mohammed.

Nachdem sie die 17 Verdächtigen verhaftet hatte, organisierte die Polizei eine Pressekonferenz – ohne zu erwähnen, dass die Festgenommenen Muslime waren. Bei ihrer zweiten Pressekonferenz prahlte die Polizei gar damit, darauf nicht eingegangen zu sein. Sollte der Grund des Schweigens eine wie auch immer geartete Sensibilität gewesen sein, dann ist das gewaltig schiefgegangen – verwischte es doch die Rolle der Religion als Antrieb für Gewalt.

Damit sind die Sicherheitsbehörden in guter Gesellschaft: Gemäßigte Muslime machen dasselbe. Auch wenn die Mehrheit der Muslime keine Extremisten sind, so müssen wir doch zwischen gemäßigten und aufgeklärten Muslimen unterscheiden.

Gemäßigte Muslime verurteilen Gewalt im Namen des Islams – doch sie bestreiten, dass der Islam damit etwas zu tun hätte. Mit dieser Leugnung überlassen sie theologische Interpretation denen mit bösen Absichten. Aufgeklärte Muslime fordern dagegen eine offene Debatte darüber, wie Schriften des Islam missbraucht werden. Sie fordern eine neue Interpretation des Islam, um Terroristen klarzumachen, dass ihre religiöse Deutungshoheit vorbei ist. Eine Neuinterpretation bedeutet nicht, den Koran neu zu schreiben, sondern Worte und Methoden aus des siebten Jahrhunderts in den Kontext des 21. Jahrhunderts zu überführen.

Ist das unislamisch? Gott bewahre. Der Koran enthält dreimal so viele Verse mit Verweisen darauf, dass Muslime nachdenken, und analysieren sollen wie Textstellen, die diktieren, was absolut richtig oder falsch ist.

Vor einigen Tagen schrieb ein Ex-Islamist, der „echte Motor unserer Gewalt“ sei die Islamische Theologie. Vor Monaten sagte er mir, als Kämpfer habe er die meiste Unterstützung von Zahnärzten bekommen. Islamistische Gewalt ist kein Privileg der Ärzte. Sie zu bekämpfen, dürfen wir nicht den „Gemäßigten“ überlassen.

Die Autorin ist muslimische Kanadierin. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch „Der Aufbruch. Plädoyer für einen aufgeklärten Islam“.

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