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Meinung: Position: Gib immer zuerst Amerika die Schuld

Die Bedenken gegen Amerikas Krieg in Afghanistan lassen nicht nach, besonders bei unseren engsten Verbündeten, obwohl sich mittlerweile sichtbare Erfolge eingestellt haben. Die Berliner Regierungskoalition steht sogar vor der Zerreißprobe.

Die Bedenken gegen Amerikas Krieg in Afghanistan lassen nicht nach, besonders bei unseren engsten Verbündeten, obwohl sich mittlerweile sichtbare Erfolge eingestellt haben. Die Berliner Regierungskoalition steht sogar vor der Zerreißprobe. Einige, von der deutschen Grünen Claudia Roth bis zum Außenminister von Silvio Berlusconis Mitte-Rechts-Koalition in Rom, haben sich in den letzten Wochen immer wieder lautstark über die humanitären Kosten des Krieges beschwert. Präsident George W. Bushs strikte Zurückweisung der Forderung nach einer Bombenpause, auch während des Ramadan und trotz der Einnahme Kabuls durch die Nordallianz wird die Dinge noch verschärfen. Vor fünf Wochen hat der Krieg begonnen, und schon stehen die Flitterwochen der "uneingeschränkten Solidarität" vor einem harten Test. Deshalb wird es immer wichtiger, dass die USA umsichtig und klar mit ihren Partnern jenseits des Atlantik kommunizieren.

Als US-Außenminister Colin Powell kürzlich sagte, dass es in unserem Interesse liege, wenn der Krieg vor Beginn des Ramadan und des Winter beendet wäre, hatte er natürlich Recht. Dennoch war diese Aussage unseres ansonsten zurückhaltenden Ministers unglücklich, weil sie in einigen Kreisen unrealistische Erwartungen geschürt hat. Denn gleichzeitig versuchten andere, Bush eingeschlossen, immer wieder klar zu machen, dass wir vielleicht sogar jahrelang in Afghanistan sein werden.

Manchmal wird es in der kommenden Zeit für externe Beobachter so aussehen, als würden nur sehr langsam Fortschritte erzielt. Außerdem wird es Rückschläge geben. Davon werden die Politiker nicht gerne sprechen. Und es ist auch kein "sauberer" Krieg, wie der deutsche Außenminister Joschka Fischer richtig sagt - noch so eine unpopuläre Nachricht für liberale Demokratien. Aber das sind Nachrichten, die wir akzeptieren müssen, wenn wir siegen wollen. Genauso wie wir in den Debatten um den Krieg immer wieder die Kernpunkte klarstellen müssen.

Einer dieser Punkte hat mit den humanitären Kosten des Krieges zu tun und mit einem der widerwärtigsten Vorwürfe der Kriegsgegner: Amerika sei ignorant. Einige europäische Kommentatoren haben argumentiert, dass die aus amerikanischen Flugzeugen abgeworfenen Lebensmittelpakete pure Propaganda seien und kaum Auswirkungen auf das Elend der afghanischen Flüchtlinge hätten, außer dass viele von ihnen dadurch in Minenfeldern enden. Ibrahim Nafi, der Herausgeber von "Al-Ahram", einer führenden ägyptischen Zeitung, geht sogar so weit, zu behaupten, Amerika werfe absichtlich vergiftete Nahrungsmittel über Minenfelder ab, um die Afghanen auf gefährliches Terrain zu locken.

Nafi ist nicht der erste in der "moderaten" arabischen Welt, der in dieser Art über potenzielle amerikanische "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" nachdenkt. Führende deutsche Intellektuelle wie der 73-jährige Nobelpreisträger Günter Grass arbeiten schon seit langem daran, die moralische Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten zu untergraben. Herr Bush trage durch sein eigenes "religiös fanatisches" Denken eine Mitschuld, sagt Herr Grass. Seine Ansichten knüpfen nahtlos an die missverständlichen Formulierungen von Fernsehmoderator Ulrich Wickert an. Und das sind Stimmen unserer Verbündeten!

Amerikas Priorität bleibt die Vernichtung von Osama bin Ladens Al Qaida und die Beseitigung des Taliban-Regimes, das die Terroristen schützt. Die dafür nötigen Aktionen scheinen immer gefährlicher, blutiger und teurer zu werden. Natürlich machen wir Amerikaner auch Fehler. Der Krieg hat schon zivile Opfer gefordert. Es werden bestimmt noch mehr werden. Und eine politische Nachkriegsordnung auf die Beine zu stellen, wird eine ziemlich entmutigende Aufgabe werden. Doch zunächst einmal muss der Krieg gewonnen werden. Punkt. Ist dieses Anliegen so falsch?

Es ist bezeichnend, dass viele über das Elend der afghanischen Flüchtlinge erst seit dem 7. Oktober nachdenken - seit dem Tag, an dem die ersten Bomben fielen. Um die Flüchtlinge kümmert sich Amerika aber schon viel länger. Seit der sowjetischen Invasion 1979 haben die Vereinigten Staaten dem afghanischen Volk mehr als eine Milliarde Dollar zukommen lassen - mehr als irgendein anderes Land auf der Welt. Die Regierung Bush jr. hat bereits 320 Millionen dafür investiert. Private amerikanische Stifter haben nochmals einige Millionen dazugegeben. Flüchtlinge in Afghanistan bekommen amerikanische Hilfspakete, Flüchtlinge in Pakistan profitieren vom Lebensmittelprogramm der Vereinten Nationen - eine Einrichtung, in die die USA als Einzige einen großen Beitrag gezahlt haben. (Mehr als 80 Prozent der Nahrungsmittel-Schiffslieferungen kommen aus den USA).

Und was ist mit diesen Minenfeldern? Ja, die sind gefährlich. Aber auch hier muss man darauf hinweisen, dass die USA schon vor 13 Jahren zusammen mit Japan das UN-Büro für Humanitäre Hilfe für Afghanistan unterstützt haben, dessen Ziel es von Anfang an war, die geschätzten zehn Millionen Landminen zu beseitigen.

Das amerikanische Mitgefühl scheint keine Grenzen zu kennen, betonte der amerikanische Kolumnist Charles Krauthammer. Präsident Bush hat die Kinder Amerikas gebeten, je einen Dollar für ein afghanisches Kind zu spenden, und hat sie angehalten, Briefe an moslemische Brieffreunde zu schreiben. Islamische Führer würden wohl nicht im Traum daran denken, moslemische Kinder aufzufordern, jungen Amerikanern zu schreiben. Stattdessen verurteilen moderate arabische Führer die Angriffe vom 11. September und schieben im gleichen Atemzug Amerika die Schuld dafür zu.

Der "Gib-immer-zuerst-Amerika-die-Schuld-Club" ist weiter quicklebendig. Wer gedacht hätte, dass er allmählich aus der Mode kommt, wird seine Hoffnung noch ein Weilchen aufsparen müssen.

Der Autor ist Berater der US-Regierung und zukünftiger Direktor des Aspen-Instituts in Berlin.

Jeffrey Gedmin

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