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Position: Leck in der Gießkanne

Eine Erhöhung des Kindergeldes wäre falsch

Wer kann schon etwas dagegen haben, das Kindergeld zu erhöhen? Für die meisten ist es der Inbegriff der staatlichen Unterstützung des gesellschaftlichen Nachwuchses. Das Kindergeld bildet den größten Einzelposten der Familienförderung in Deutschland. Es wird flankiert von Kinderfreibeträgen, vom Kinderzuschlag, vom Elterngeld, von Steuererleichterungen bei der Kinderbetreuung, Kinderzuschlägen bei der Riester-Rente, Ausbildungsfreibeträgen, von Beitragsreduktionen für Eltern bei der Pflegeversicherung und anderen Programmen.

Sie haben alle das gleiche Strickmuster: Die Familie als zentrale Institution der Kindererziehung soll gestärkt, zumindest sollen ihr einige der Nachteile erstattet werden, die sie gegenüber Nichtfamilien hat, seitdem Kinder sich finanziell nicht mehr rechnen, sondern im Gegenteil arm machen. International dürften wir in Deutschland mit dem gewaltigen Umfang von jährlich 184 Milliarden Euro solcher Ausgleichszahlungen für Familien an der Spitze stehen.

So weit so gut. Nun zeigen aber alle seriösen Studien, dass wir mit dieser Familienpolitik nicht gerade erfolgreich sind. Erstens, weil trotz der in Aussicht stehenden Ausgleiche nur wenige Paare bereit sind, Eltern zu werden. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind ist eben nicht nur eine Finanzfrage, sondern hängt von der gesamten Lebenssituation und der erlebten Unterstützung ab. Zweitens, weil wir eine erschreckend hohe Zahl von Familien mit Kindern haben, die in relativer Armut leben, also trotz der Geldförderung nicht das materielle Lebensniveau erreichen, das bei uns durchschnittlicher Standard ist. Eine Gießkannenpolitik kann eben keinen gezielten Ausgleich für Benachteiligungen schaffen.

Und drittens, weil durch die Fixierung auf einen Haushaltsausgleich nicht garantiert werden kann, dass die Geldsummen den Kindern selbst, als sich noch in der Entwicklung befindlichen Persönlichkeiten, zugute kommen. Das Kindergeld heißt zwar so, aber es ist eigentlich ein Familiengeld, das den Eltern und nicht den Kindern zur Verfügung steht.

Kinderpolitik heißt, Schritte einzuleiten, die unmittelbar den Kindern als jungen Staatsbürgern und als Persönlichkeiten mit besonderem Bedarf zugute kommen. Eine solche Politik stellt die Rolle von Eltern als Dreh- und Angelpunkt für die Entwicklung des Nachwuchses nicht infrage. Aber sie trägt der Tatsache Rechnung, dass Eltern nun einmal Laienerzieher sind und ihre natürlichen Grenzen haben, wenn es um die Erziehung ihrer Kinder geht – weil sie berufstätig sein wollen oder müssen, ihre Beziehung in die Brüche geht, sie eigene Ansprüche an ein erfülltes Leben stellen und in vielen Belangen nicht kompetent bei der schwierig gewordenen Erziehung sind. Weil sie eben auch nur ganz normale Menschen sind.

Hier setzt moderne Kinderpolitik an. Sie ist gezielte Förderpolitik für Kinder und ergänzt die bisherige Familienpolitik.Wir brauchen dringend die vorschulische Betreuung und Erziehung in Kinderkrippen und Kindertagesstätten und die Angebote von Kindergärten und Grundschulen auch am Nachmittag, weil sie die notwendigerweise ungenügenden Förderimpulse der Eltern ergänzen.

Durch die Entscheidung der CDU, das Kindergeld zu erhöhen, wird dieser Kurs verlassen. Die CDU-Entscheidung klingt zunächst nach Wahlkampf, aber es steckt mehr dahinter. Die Ausflüge in eine gezielte Kinderpolitik, die in den letzten beiden Regierungsjahren von der eigenen Familienministerin durchgedrückt wurden, waren den meisten Parteigrößen nicht geheuer. Sie fürchten einen Bedeutungsverfall der Familie, wenn mehr öffentliche Erziehungseinrichtungen entstehen. Am liebsten wäre es ihnen, noch eins auf die traditionelle Politik draufzusetzen und ein Betreuungsgeld für alle Eltern einzuführen, zur Belohnung für alle Eltern, die ihr Kind bewusst von diesen öffentlichen Einrichtungen fernhalten.

Wollen wir die Ziele „höhere Kinderzahl“, „weniger Armut“ und „mehr Kompetenzförderung für Kinder“ wirklich erreichen, helfen Kindergelderhöhungen und schon gar ein Betreuungsgeld nicht weiter, sondern sie werfen uns zurück. Die SPD sollte aufwachen und sich dieses Zukunftsthema nicht entgehen lassen.

Der Autor ist Professor für Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld und leitete die letzten Shell-Jugendstudien.

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