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Position: Steuern senken heißt das bürgerliche Projekt

Über den gesellschaftlichen Nutzen und praktischen Wert dieser Regierung werden nicht Angela Merkel oder gar Guido Westerwelle, sondern der Finanzminister entscheiden. Wolfgang Schäuble ist der bürgerliche Projektmanager, und von ihm wird abhängen, wie schnell sich Enttäuschung im bürgerlichen Lager breitmacht.

Noch ist die Tinte unter dem Koalitionsvertrag nicht trocken, da machen schon zwei Vorwürfe an die neue Regierung die Runde. Die Rede geht vom lustlosen Beginn, vom Fehlen eines Projekts, einer Vision, und von der Umverteilung von unten nach oben. Nun hat bekanntlich schon Helmut Schmidt den von Visionen Geplagten einen Gang zum Arzt angeraten, weshalb das Fehlen derselben als Zeichen von Pragmatismus interpretiert wird.

Mit Visionen ist das so eine Sache. Auf die angekündigte geistig-moralische Wende des weiland Bundeskanzlers von 1982, Helmut Kohl, warten wir noch heute. Und das rot-grüne Projekt war auch nicht mehr als der Macht- und Gestaltungsanspruch der 68er. Alles andere ist längst in Vergessenheit geraten und der Kanzler dieses Projekts am Ende mit einer Agenda in die Geschichtsbücher eingegangen, die seine Partei ruiniert hat. Mit rot-grünen Aufbrüchen hatte das nichts zu tun, eher mit späteren Korrekturen früherer Aufbrüche der Roten wie der Schwarzen.

Nun ist es bestimmt richtig, dass linke Politik eher visionär daherkommt, konservativ-liberale Korrekturen dagegen pragmatisch-unspektakulär. Die einen wollen das Land mit Windkraftanlagen zupflastern, die anderen die Atomenergie als Brückentechnologie erhalten, bombastisch das Heilsversprechen, verschämt der notdürftige Rückbau. Wenn es also überhaupt so etwas wie ein bürgerliches Projekt gibt, dann hat Peter Sloterdijk schon recht mit seiner Formel vom Aufbruch, sprich von der Entlastung der „Leistungsträger“, seien es nun Apotheker, Gastwirte oder Steuerberater. Und eben daran macht sich der Vorwurf der Umverteilung fest. Dabei hat sich ein merkwürdiges Missverständnis eingenistet. Immer dann wenn Steuern gesenkt werden sollen, wird so getan, als ob andere dafür bezahlen müssen, also die, die noch weniger haben.

Doch Steuern kann man nur bei denen senken, die welche zahlen, also von einem Einkommen ab 20 000 bis 30 000 Euro im Jahr. Und folglich ist auch der Vorwurf der Umverteilung eher populistisch als realistisch, da den Ärmsten nicht genommen werden kann, was sie nicht haben: Geld, um Steuern zu entrichten. Es hat sich in den letzten Jahren unter den Steuerzahlern auch über die FDP-Klientel der symbolischen Zahnärzte hinaus eine große Erbitterung breitgemacht, 15 Prozent liberale Stimmen sind der Ausdruck davon. Dabei geht es weniger um die Höhe der zu zahlenden Summe, als um deren Undurchsichtigkeit. Denn die wenigen Spitzenverdiener nutzen Steuerschlupflöcher, die der Masse der Steuerbürger verschlossen sind. Und während einige Bankmanager noch in der Finanzkrise ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben, werden die staatlichen Rettungsschirme von den Millionen Steuerzahlern finanziert.

Dies zu korrigieren wäre das bürgerliche Projekt und es allein schon wert, Guido Westerwelle vier Jahre als Außenminister zu ertragen. Über den gesellschaftlichen Nutzen und praktischen Wert dieser Regierung werden also nicht Angela Merkel oder gar Guido Westerwelle, sondern der Finanzminister entscheiden. Wolfgang Schäuble ist der bürgerliche Projektmanager, und von ihm wird abhängen, wie schnell sich Enttäuschung im bürgerlichen Lager breitmacht. Viele Bierdeckel zum Üben hat er dabei nicht.

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