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POSITIONEN: Anerkennung der Lebensleistung

Die Arbeitsmarktreform darf nicht nur Druck auf die Arbeitslosen erhöhen

Wie leistungsbereit – oder faul – sind Arbeitslose? Muss der staatliche Druck auf sie erhöht werden? Über diese Fragen ist in den vergangenen Tagen eine kontroverse Debatte entbrannt.

Ohne Zweifel: Es gibt schwarze Schafe in den sozialen Sicherungssystemen. Spektakuläre Fälle von Menschen, die aus ihrer Abneigung gegen Arbeit keinen Hehl machen und mit dieser Einstellung durch Talkshows und Boulevardzeitungen tingeln, bestimmen häufig das Bild. Es ist jedoch ein Zerrbild, denn die Mehrheit bemüht sich ehrlich um Arbeit. Auch andere pauschale Urteile sind unangemessen, wenn etwa der Bezirksbürgermeister von Neukölln sagt, staatliche Geldleistungen würden von der deutschen „Unterschicht“ „versoffen“. Mit solchen Äußerungen werden immer wieder Klischees bedient, die dem sozialen Zusammenhalt in unserem Land nicht dienen.

Eine Überarbeitung der Arbeitsmarktreform darf deshalb nicht nur darauf abzielen, den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen. Es muss auch darum gehen, Gerechtigkeitslücken zu schließen. Menschen, die nach einem langen Arbeitsleben unverschuldet in Arbeitslosigkeit geraten, fühlen sich häufig nicht gewürdigt und um eine lange Erwerbsbiografie gebracht. Die Berliner CDU hatte sich deshalb schon 2005 dafür eingesetzt, die Bezugsdauer von ALG I für langjährige Beitragszahler zu erhöhen. Wer lange hart gearbeitet und eingezahlt hat, soll mehr haben als jemand, der in seinem Leben noch nicht einen Finger gerührt hat. Eine entsprechende Regelung hat der Deutsche Bundestag Anfang 2008 beschlossen.

Ich ermuntere alle – auch meine Partei, diese Richtung weiter zu verfolgen und unterschiedliche Lebensleistungen differenzierter anzuerkennen. Denkbar wäre, dass ALG-II-Empfänger, die mindestens 20 Jahre einer Beschäftigung nachgegangen sind, einen an der Beschäftigungsdauer orientierten Aufschlag erhalten. Das würde nicht nur für eine stärkere Wertschätzung von Arbeit sorgen, sondern hätte auch den positiven Nebeneffekt, dass dadurch ein echter Anreiz geschaffen wird, auch einen mäßig bezahlten Job anzunehmen. Der Aufschlag könnte dafür sorgen, dass sich auch solche Arbeit stärker lohnt, als in Arbeitslosigkeit zu verharren. Auch der Übergang in die Rente muss solidarischer gestaltet werden. Hier darf keine Armutslücke entstehen. Ich unterstütze daher die Idee, dass ältere Arbeitslose ein Jahr länger Arbeitslosengeld I beziehen können, wenn sie das 60. Lebensjahr überschritten und 35 Jahre gearbeitet haben.

Es gibt also weiterhin einen erheblichen Verbesserungsbedarf. Schon aus Verpflichtung gegenüber dem Steuerzahler dürfen die Sozialsysteme kein Ort sein, in dem man sich dauerhaft einrichten kann. Die Einheit von Fördern und Fordern muss das Ziel bleiben. Das schließt mehr Gerechtigkeit und die Anerkennung der Lebensleistung des Einzelnen ein.

Der Autor ist Fraktions- und Landesvorsitzender der Berliner CDU.

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