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Meinung: Positionen: Auch Frieden ist nicht selbstverständlich

Am morgigen Dienstag ist es eine Woche her, dass Amerika angegriffen wurde. Wir werden diese Tage nie vergessen.

Am morgigen Dienstag ist es eine Woche her, dass Amerika angegriffen wurde. Wir werden diese Tage nie vergessen. Jetzt kommt es darauf an, unseren Schock zu überwinden und unsere Trauer in besonnene Entschlossenheit zu verwandeln. Wenn wir unsere Leidenschaft mit Augenmaß verbinden, kann die freie, zivilisierte Welt gestärkt aus der Katastrophe hervorgehen:

1. Die Terroristen haben Amerika unterschätzt. Schon Hitler hielt die USA für schwach und dekadent. Auch die Terroristen unserer Tage verkennen die enorme Kraft, die der besondere amerikanische Patriotismus freizusetzen vermag, diese Mischung aus Vaterlandsliebe und Verfassungstreue. Niemand sollte die unendlichen Ressourcen dieser riesigen Nation unterschätzen und die Fähigkeit, gerade im Moment der größten Gefahr zusammenzustehen und zu handeln. Amerika wird sich seiner getöteten Helden würdig erweisen: der verschütteten Feuerwehrleute etwa, oder der Flugzeugpassagiere, die sich den Terroristen mit verzweifeltem Mut entgegenwarfen. Das World Trade Center wird schon bald wieder aufgebaut sein, im Zweifel noch höher als zuvor.

2. Wenn die europäischen Nato-Partner jetzt Solidarität zeigen - nicht nur in der Trauer, sondern auch im Gegenschlag - dann wird das zu einer Vertiefung der europäisch-amerikanischen Beziehungen führen. Amerika hat erkennen müssen, dass es verwundbar bleibt und Freunde braucht. Wenn wir jetzt fest an seiner Seite stehen, gehören unilateralistische Regungen der Vergangenheit an. Und vielleicht streiten wir in Zukunft weniger aufgeregt über Bananen und Flugzeugsubventionen und werden uns der Grundwerte und -interessen gemeinsam bewusster.

3. Die terroristische Herausforderung könnte auch dazu führen, dass wir eine ganz neue Allianz mit Russland, aber auch mit China und Indien schmieden. Alle diese Länder kennen die Gefahr des islamistischen Extremismus viel länger als die USA. Erscheinen nicht plötzlich die von radikalen Tschetschenen in Moskau gezündeten Bomben in einem anderen Licht? Haben wir genug mit den Russen getrauert? Es ist richtig, neue Raketenabwehrsysteme zu entwickeln und weniger auf Abschreckung als auf Abwehr zu setzen. Aber im Zeitalter nach dem 11. September 2001 müssen wir das so tun, dass auch Russland und China davon profitieren bzw. sich nicht bedroht fühlen. Die Terroristen wollten Amerika isolieren. Es kommt jetzt darauf an, trotz fortbestehender Konflikte eine Allianz der zivilisierten Welt zustande zu bringen.

4. Diese umschließt auch große Teile der islamischen Welt. Wir dürfen niemals den Islam als solchen zur Ursache des Übels erklären. Wir dürfen nicht jeden unter uns lebenden Muslim zum potenziellen Terroristen erklären und nicht jeden islamischen Staat zum heimlichen Verbündeten der Extremisten. Um dem Islamismus den Boden zu entziehen, müssen wir in Zukunft den "Dialog der Kulturen" verstärken, mehr Kenntnisse über den Islam sammeln und mithelfen, der Armut und Not in vielen islamischen Ländern Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig aber muss der extremistische Islamismus besser aufgeklärt und härter bekämpft werden - auch bei uns in Deutschland.

5. Vielleicht begreifen mehr Menschen in der westlichen Welt - und auch in Deutschland - dass der Frieden nicht selbstverständlich ist, genausowenig wie Freiheit und Demokratie. Könnte es nicht sein, dass zukünftig wieder ein wenig mehr Bereitschaft zum Engagement entsteht, zumindest aber wieder vermehrt zur Wahl gegangen wird? Vielleicht gibt es neben "fit for fun", ständiger Party und absoluter Selbstverwirklichung auch ein wenig mehr Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit. Wir können das Grauen des 11. September nicht ungeschehen machen. Aber wir können so reagieren, dass die Terroristen und ihre klammheimlichen Sympathisanten verstehen, dass sie die freie, zivilisierte Welt weder isoliert noch geschwächt haben. Wir können und werden uns behaupten.

Friedbert Pflüger

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