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Meinung: Positionen: Aufklärung im Einvernehmen?

In der Gauck-Behörde gelten neue Richtlinien für die Akteneinsicht von Medien und Wissenschaftlern. Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler hat in dieser Zeitung auf Kritik geantwortet und die Änderungen als "ein weiter entwickeltes Verfahren" dargestellte.

In der Gauck-Behörde gelten neue Richtlinien für die Akteneinsicht von Medien und Wissenschaftlern. Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler hat in dieser Zeitung auf Kritik geantwortet und die Änderungen als "ein weiter entwickeltes Verfahren" dargestellte. Sie behauptet, die bisherige Praxis sei nur ergänzt worden. Diejenigen, um deren Akten es geht, werden "von der Nutzung sie betreffender Informationen unterrichtet".

Vorausgegangen war ein Konflikt des Innenministeriums mit dem Innenausschuss des Bundestages. Politischer Auslöser war die Frage, ob Unterlagen des MfS im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Aufklärung der Spendenaffäre verwendet werden dürfen. Hier ergeben sich Fragen: 1. Was bedeutet das in der Praxis, definieren jetzt die Juristen der BStU die Themen für Forscher und Journalisten? 2. Wird das StUG durch Herausgabeverfahren der BStU auf die alte DDR beschränkt? Wie soll man sonst die Feststellung verstehen, dass MfS-Erkenntnisse nicht zur Aufklärung politischer Angelegenheiten im Westen genutzt werden dürfen. Die SED und ihr MfS haben vor 1989 gesamtdeutsch agiert, für die SED gab es keine "bundesdeutschen Angelegenheiten".

Das Gesetz muss an seine Grenzen stoßen, wenn es um die Erforschung innerdeutscher Politik geht. In ihr spielte das MfS besonders nach den Ostverträgen eine untergeordnete Rolle. Frau Birthler verspricht sich mehr "Rechtssicherheit" von der neuen Regelung. Vermutlich wird sie sich täuschen, die Behörde wird mehr Konflikte bekommen, mit Nutzern, Opfern, Dritten und Tätern. Ein weiteres Problem der neue Regelung: Die betroffenen Personen der Zeitgeschichte werden ja nicht nur informiert, sondern sie erhalten auch "Gelegenheit, die für die Herausgabe vorgesehenen Unterlagen vor einer möglichen Veröffentlichung kennen zu lernen". Die Behörde prüft und entscheidet, sie ist gesetzlich gezwungen, in jedem Einzelfall eine Güterabwägung zwischen historischer Aufklärung , Persönlichkeitsrecht und Datenschutz vorzunehmen. Das Ergebnis könnte im Bezug auf die Stasi im Westen auf ein Aufklären im Einvernehmen mit den Personen der Zeitgeschichte hinauslaufen, in der "Rechtssicherheit" schnell zur Chiffre für politische Opportunität wird.

Auf die Zäsur, die diese neuen Eckpunkte in der Geschichte der Behörde darstellen, macht die Bundesbeauftragte unfreiwillig selbst aufmerksam. Sie blendet die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und der Behörde aus. Nicht das zeitgeschichtliche oder journalistische Aufklärungsinteresse stand 1990 im Vordergrund, als eine Volkskammermehrheit die Bundesregierung zwang, die Öffnung der MfS-Akten durch Gesetz doch noch in den Einigungsvertrag aufzunehmen. Politisch stand die "Akteneinsicht" für die Opfer des MfS und die Überprüfung des Öffentlichen Dienstes in den neuen Bundesländern auf verdeckte MfS-Seilschaften im Vordergrund. Namentlich die Akteneinsicht, die, um Gerd Poppe zu zitieren, den Nachweis erbrachte, dass wir in der DDR kein Volk von "Spitzeln und Denunzianten" waren, verschaffte der Behörde ihr politisch-moralisches Gewicht. Beide historischen Aufgaben sind zehn Jahre später im Wesentlichen erfolgreich gelöst.

In den Medien der DDR ging es um Propaganda, Parteikontrolle und Zensur und in dieser Struktur nahm das MfS eine nachgeordnete Kontrollaufgabe wahr. Da kann man den Ärger der MfS-Offiziere schon verstehen, dass sie heute stellvertretend für die Parteikader büßen müssen. Mit den neuen Richtlinien für die Herausgabe von Stasi-Unterlagen durch die BStU beginnt erneut eine Debatte um ihren Stellenwert für die Zeitgeschichte, der unmittelbar den Status der Behörde berühren wird. Es ist kein Zufall, dass die Richtlinien für die Herausgabe der Akten an die Medien und die Wissenschaft just zu dem Zeitpunkt geändert werden, da allein die Operationen des MfS in der BRD noch politischen Sprengstoff enthalten. und ansonsten der Zeitpunkt absehbar ist, an dem die Akten nur noch den Historikern dienen werden, um die Geschichte der kommunistischen Diktatur, die der Teilung und des Kalten Krieges in und um Deutschland zu schreiben - in der die Flucht aus der SBZ/DDR, Opposition und Widerstand gegen die Diktatur ebenso ihren Platz haben, wie die Deutschlandpolitik des Westens. Für alle diese Felder bleibt die MfS-Überlieferung - einschließlich der Telefonmitschnitte - unverzichtbar.

Manfred Wilke

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