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Meinung: Positionen: Auszahlung an Zwangsarbeiter - jetzt!

Nach mitunter quälenden Verhandlungen ist im Frühjahr vergangenen Jahres eine Vereinbarung über eine einmalige Leistung an ehemalige Zwangsarbeiter zu Stande gekommen. Der Deutsche Bundestag hat die Ergebnisse dieser Verhandlungen, die auf unserer Seite von Graf Lambsdorff als Beauftragten der Bundesregierung sehr gefördert worden sind, wenig später in ein erfreulicherweise fast einstimmig verabschiedetes Gesetz übernommen.

Nach mitunter quälenden Verhandlungen ist im Frühjahr vergangenen Jahres eine Vereinbarung über eine einmalige Leistung an ehemalige Zwangsarbeiter zu Stande gekommen. Der Deutsche Bundestag hat die Ergebnisse dieser Verhandlungen, die auf unserer Seite von Graf Lambsdorff als Beauftragten der Bundesregierung sehr gefördert worden sind, wenig später in ein erfreulicherweise fast einstimmig verabschiedetes Gesetz übernommen. Danach konnten die noch lebenden Opfer damit rechnen, noch im Laufe des Jahres 2000 die erste von insgesamt zwei Raten der ihnen im Gesetz zugesagten Beträge zu erhalten. Diese stellen keine Entschädigung im eigentlichen Sinne dar - dafür wäre eine dreistellige Milliardensumme erforderlich gewesen - aber doch eine Geste mitmenschlicher Solidarität mit den Opfern und eine späte Anerkennung des ihnen zugefügten Unrechts. Ein Zeichen, auf das sie lange genug gewartet haben.

Diese Hoffnung ist bitter enttäuscht worden. Erst ergaben sich Verzögerungen, weil die deutsche Wirtschaft nicht im Stande war, den von ihr versprochenen Beitrag in Höhe von fünf Milliarden Mark tatsächlich aufzubringen. Dies auch deshalb nicht, weil sogar Unternehmen, die selbst Zwangsarbeiter beschäftigt haben oder in unmittelbarer Rechtsnachfolge solcher Betriebe stehen, sich mit bedrückenden Ausflüchten einer Beteiligung entzogen. Erst als ein US-Gericht auf diese Tatsache hinwies und sie für entscheidungserheblich erklärte, wurde die Lücke von zuletzt noch einer Milliarde Mark im Februar dieses Jahres durch entsprechende Garantien einer Anzahl von Großunternehmen geschlossen, die sich von Anfang an engagiert hatten.

Wer glaubte, jetzt könne endlich mit den Zahlungen begonnen werden, sah sich allerdings wiederum getäuscht. Nunmehr behauptet die Wirtschaft, das sei nicht möglich, weil in den USA noch eine Sammelklage gegen mehrere Banken anhängig sei und es deshalb an der notwendigen Rechtssicherheit fehle. Bei diesem Verfahren, das gegenwärtig in der Berufungsinstanz schwebt, handelt es sich jedoch nicht um Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter, sondern um Vermögensschäden aus der Zeit des NS-Gewaltregimes, für die von Betroffenen Ersatz verlangt wird. Wann in diesem Verfahren endgültig entschieden wird, lässt sich derzeit nicht absehen. Im schlimmsten Fall kann das noch lange dauern.

Das ist ein unerträglicher Zustand.

Die noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter befinden sich in fortgeschrittenem Alter. Annähernd die Hälfte von ihnen dürfte bereits an die 80 Jahre alt sein. In jedem Monat, der verstreicht, sterben Tausende, ohne dass sie wenigstens eine moralische Genugtuung erfahren hätten. Und viele von ihnen - so etwa die in der Ukraine und in Weißrussland - leben in ärmlichsten Verhältnissen. Wir können uns wohl nur schwer vorstellen, was gerade für sie materielle Hilfen bedeuten, die uns in unserem Land eher bescheiden erscheinen.

Noch etwas kommt hinzu: nämlich die Tatsache, dass gerade auch außerhalb der Bundesrepublik die Freude über die Entscheidungen, die wir in dieser Sache spät genug in breitem Konsens getroffen haben, mehr und mehr der Befürchtung weicht, es könnte sich dabei doch nur um ungewisse Vertröstungen handeln.

An alle Beteiligten, insbesondere aber an den Bundestag, ist deshalb der dringende Appell zu richten: Macht diesem traurigen Spiel, bei dem die Opfer geradezu als Geiseln erscheinen, ein Ende! Gewiss ist das Verhalten einer bestimmten amerikanischen Richterin, die sich zudem über eine Stellungnahme ihrer eigenen Regierung hinwegsetzt, befremdlich. Aber das ändert nichts daran, dass alle bisherigen Sammelklagen im Bereich der Zwangsarbeit zurückgewiesen worden sind.

Deshalb könnte der Deutsche Bundestag in sinngemäßer Anwendung des Paragrafen 17, Abs. 2 des von ihm erlassenen Gesetzes sogleich die Feststellung treffen, dass für diesen Bereich eine ausreichende Rechtssicherheit hergestellt ist. Dafür spricht schon, dass das Gesetz für Leistungen an Zwangsarbeiter und für den Ausgleich von Vermögensschäden jeweils gesonderte Gesamtsummen vorsieht. Die Summe für Vermögensschäden könnte deshalb bis zu der dort noch ausstehenden Entscheidung gesperrt bleiben, ohne dass die Zwangsarbeiter darunter zu leiden hätten. Zudem spricht das Gesetz nur von ausreichender und nicht von absoluter Rechtssicherheit. Diese ist ohnehin nicht erreichbar.

Von verschiedenen Seiten wird die Sorge geäußert, die Wirtschaft würde es im Falle einer solchen Teilfeststellung ablehnen, ihren 50-prozentigen Anteil an der Summe von 8,1 Milliarden Mark zur Verfügung zu stellen. Oder sie würde jetzt eine absolute Rechtssicherheit verlangen. Ich weigere mich, das zu glauben. Denn die Wirtschaft würde mit einem solchen Verhalten sich selbst, aber auch unserem Land insgesamt ein schlimmes Zeugnis ausstellen. Ein Zeugnis, das dahin verstanden werden müsste, selbst auf diesem sensiblen Feld seien materielle Gesichtspunkte wichtiger als ein Stück Menschlichkeit.

Hans-Jochen Vogel

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