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POSITIONEN: Berlin, Hauptstadt der großen Klappe

Warum Deutschland von Bonn aus besser regiert wurde.

Ist Berlin etwa nicht der einzige richtige Platz, den Sechzigsten der Bundesrepublik und des Grundgesetzes gebührend zu feiern? Wenn überhaupt gefeiert werden muss, dann doch wohl in Bonn. Dort kam der beste Staat zur Welt, den Deutsche jemals zustande gebracht haben.

Wer noch immer glaubt, die sogenannte Wiedervereinigung sei durch den Beitritt der DDR bewerkstelligt worden, betreibt Autosuggestion. Beide Staaten gingen zugrunde. Auch der Staat, den Millionen Ostdeutsche so sehr herbeisehnten, dass sie keinen einzigen Monat länger warten wollten, und das eigene Land nicht auf die abrupte Fusion mit dem Westen vorbereiteten. So entstand, übergangsweise noch ein ganzes Jahrzehnt lang aus Bonn regiert, die Berliner Republik, die aus westlicher Perspektive nur Träumer für einen Gewinn halten können.

Wofür steht die Berliner Republik? In Berlin werde die Politik näher an den Menschen sein, hatten die Bonn-Verächter getönt. Nichts als Illusion. Mag sein, dass der eine oder andere Hinterbänkler sich mit geschwellter Brust einbildet, Weltpolitik zu betreiben, weil es die Reichstagstreppen sind, die er besteigt. Augenmaß und Bescheidenheit Bonns wären der Lage angemessener. Reformfähiger ist das vereinte Land in Berlin gewiss nicht geworden.

Nur zur Erinnerung: Deutschland wurde von Berlin aus noch nie erfolgreich regiert. Aber es hätte ja einmal anders kommen können. Nur leider sind die Deutschen notorische Romantiker – es ist fast das Einzige, was sie eint. Romantiker leiden an einem Missverhältnis zwischen Realismus und Wunschdenken. Dafür steht Berlin, die Hauptstadt der großen Klappe. Die Bonner Republik war bekanntlich reich, aber nicht gerade sexy. Dieses Image ist weg.

Der mit allen Ehren empfangene Erich Honecker sagte 1987 in Bonn, Sozialismus und Kapitalismus ließen sich so wenig vereinen wie Feuer und Wasser. Wo er recht hatte, hatte er recht. Nur träumen die Romantiker im Osten bis heute von einer solchen Vereinigung, von einem „dritten Weg“. Und die Romantiker im Westen glaubten allzu lange, das Unübersehbare ignorieren zu können, weil ja doch nur zusammenwachse, was ohnehin zusammengehöre. Sie wollten die Nachhaltigkeit der ostdeutschen Gesellschaftsordnung nicht zur Kenntnis nehmen. Dies führte zu den verheerenden Fehlern der überhasteten Vereinigung. Sie sind mit daran schuld, dass es die Deutschen bis heute nicht schaffen, die DDR aufzuarbeiten.

Stattdessen treibt die DDRNachlasspartei beide Volksparteien nach links. Die Berliner Republik ist eine ossifizierte Variante der Bonner Republik. Die einzigen nachhaltigen Reformen brachte bisher eine Generation von Politikern zustande, die als Kinder der Bonner Republik viel zu spät ans Ruder durfte und sich deshalb aufführte, als sei die Zeit stehen geblieben. Deshalb musste Gerhard Schröder scheitern, der nach Kohl ein Segen gewesen ist.

Die Bonner Republik, heißt es, sei nichts Ganzes und nichts Halbes gewesen, ein spießiges, provisorisches Fragment, bloß fade Vorgeschichte des wahren Glücks. Das ist Mythenbildung, wie Nationalstaaten sie üblicherweise benötigen. Dahinter steht aber auch jener Geist, der die kommunistische DDR-Despotie für nur halb so schlimm halten möchte und die West-BRD für nicht halb so gut.

Die Bonner Republik war nicht trotz, sondern wegen der Teilung erfolgreich. Adenauer konnte gegen den Widerstand der Sozialisten wie der Nationalisten auch in den eigenen Reihen (an vorderster Front der Berliner Jakob Kaiser) beweisen, dass eine prosperierende Demokratie kein Nationalstaat sein muss. Freiheit ging damals noch vor Einheit (und Gleichheit). Das ist heute umgekehrt.

Für Beileidsbekundungen ist es zu spät. Die Hinterbliebenen spüren allmählich, was sie an der verblichenen Bonner Republik vermissen. Zum Trost sagt man ihnen: Aber das wahre Glück der Geschichte sei die Einheit der Nation. Na, wenn das so ist.

Der Autor ist Fernsehjournalist beim ZDF.

Wolfgang Herles

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