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POSITIONEN: Der bürgerliche Bildungsbegriff grenzt aus

Die Schule muss auch Integrationsarbeit leisten

Grundlegende Reformen der Schule beleben immer Debatten um deren grundsätzliche Aufgabe und Funktion. Das ist gut und kann zur Vergewisserung dienen.

Die zentrale Aufgabe der Schule ist es, Kompetenzen zu vermitteln, die Jugendliche zur Bewältigung des Lebens brauchen. Sie müssen befähigt werden, ihr privates, berufliches Leben eigenverantwortlich gestalten zu können und am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben kompetent teilhaben zu können. Durch die internationalen Studien über die schulischen Leistungen 15-Jähriger wissen wir, dass dieser Auftrag von deutschen Schulen nur sehr unzureichend erfüllt wird, vor allem, dass es einen hohen Zusammenhang gibt zwischen der sozialen Herkunft und dem Schulerfolg. Insbesondere in Berlin ist die Diskrepanz zwischen den Leistungen von Kindern in Haushalten mit mehr als 100 Büchern und denen darunter, besonders hoch wie auch die Diskrepanz zwischen den Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund und denen ohne.

Aufgabe der staatlichen Schule ist es aber, alle Kinder und Jugendlichen in ihrer Leistungsfähigkeit zu fördern, auch die, deren Eltern dies weniger tun oder können. Deswegen steht in erster Linie die Frage an, wie die schwachen in ihren Leistungen angehoben werden können, ohne dass die leistungsstärkeren an Niveau verlieren. Mehr Chancengleichheit ist nicht gleichzusetzen mit Gleichheit im Ergebnis. Aber auch diese ist nicht zwangsläufig mit Niveauabsenkung verbunden, sie kann auch auf höherem Niveau erreicht werden

Internationale Studien lassen keine eindeutigen Schlüsse darüber zu, mit welcher Schulstruktur die besten Ergebnisse erreicht werden, weder über die Wirkung der integrativen, aber noch weniger über die Wirkung der äußerlich differenzierenden Schulsysteme, von denen es auch vergleichsweise wenige gibt. Deshalb ist der Blick auf weitere Faktoren notwendig.

Die Auswahl der Lerngegenstände kann eine wichtige Funktion für die Lernmotivation haben. Das gymnasiale Bildungskonzept, der Bildungskanon und die Vorstellung einer zweckfreien „Bildung um ihrer selbst willen“ ist für Lernschwächere nur begrenzt hilfreich, vor allem weil sie mit einem sehr mittelschichtorientierten Bildungskonzept arbeitet. Die Aufladung des Bildungsbegriffs in der deutschen Debatte hat sehr viel mehr mit dem Bedürfnis nach Differenz und Abgrenzung zu tun als mit Integration. Sie knüpft nahtlos an die Tradition eines Bildungsbürgertums des 19. Jahrhunderts an, das Bildung ausschließlich als zweckfrei und fern jeden Nützlichkeitsstrebens definiert. Bildung wird ausdrücklich als Abgrenzung zur ökonomischen Massenproduktion reklamiert. Damit ist auch der Anspruch, alle Menschen an dieser Bildung teilhaben zu lassen und sich darum zu mühen, suspendiert.

Ein pragmatischer Kompetenzbegriff, wie er angelsächsischen und skandinavischen Rahmenplänen zugrunde liegt, auch mittlerweile von der Kultusministerkonferenz als Vorgabe verabschiedet, ist hier förderlicher. Die OECD arbeitet mit einer Definition von Kompetenzen, in der nicht nur die Fähigkeit zählt, selbstständig Wissen zu erwerben und handlungsfähig zu werden, sondern auch die Fähigkeit, in heterogenen Gruppen zu arbeiten.

Auch aus diesem Grunde hat die Schule die Aufgabe, der Entwicklung personaler und sozialer Kompetenzen einen größeren Stellenwert beizumessen. Bildung ist ein sehr persönlicher Prozess der Aneignung von Welt, es ist aber auch ein sozialer Prozess, der in Auseinandersetzung mit anderen erfolgt. Zudem ist nicht der Staat alleine für den sozialen Ausgleich auch von Bildungschancen zuständig. Auch die Bürger selbst sind mit dafür verantwortlich, dass es einen gesellschaftlichen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Chancen gibt. Dazu sollten auch bildungsnahe Eltern ihren Teil beitragen. Mehr Gerechtigkeit kann es nicht geben, ohne dass mehr Menschen mit ihrem Engagement dazu beitragen.

Die bisherige Konzentration von nur noch sieben Prozent der Schüler in Hauptschulen aufzulösen zugunsten einer heterogener zusammengesetzten Sekundarschule, auf der auch neben dem Mittleren Schulabschluss das Abitur erworben werden kann, wie auch die Akzeptanz der historischen Tradition, in der das Gymnasium steht, kann hierfür ein sehr hilfreicher und vor allem pragmatischer Schritt sein.

Die Autorin, von 1989 bis 1990 Schulsenatorin, ist Mitglied im Beirat Bildung und Erziehung der Stiftung Brandenburger Tor.

Sybille Volkholz

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